Wir müssen es noch eine Weile „aushalten“ in Torrevieja.
Wettermäßig ist das kein Problem. Morgens herrschen zwar „kühle“ 22 Grad im Schiff, doch zur Dusche gehen wir nach wie vor in kurzen Hosen. Wenn die Sonne scheint – und das ist meist der Fall – reicht ein kurzärmeliges T-Shirt beim Frühstück unter dem Dach der Kuchenbude.
Ausgerechnet beim Länderspiel Deutschland-Irland stürmte und regnete es. Dabei hätte der Käpt´n so gerne Fußball in einer der Hafenkneipen geguckt, aber überall war „tote Hose“. So haben wir in der Kuchenbude Fußball „gelesen“, indem wir den Lifeticker im Internet verfolgt haben. Dumm gelaufen, das Spiel des Weltmeisters!
Heute wird es spannend, wenn Jogis Elf gegen Georgien antritt. Vielleicht finden wir in der Stadt eine Bar, die das Spiel auf ihrem Riesenflachbildschirm zeigt.
Wenn ich meinen Vokabelberg bei „Babbel“ abgearbeitet habe und dem Käpt´n die Buchstaben beim „Kindeln“ allmählich vor den Augen verschwimmen, machen wir immer mal wieder einen Versuch, die Schönheiten Torreviejas aufzuspüren. Die liegen nämlich nicht so ohne weiteres am Strand oder in der Stadt herum, es sei denn, man steht auf mehrgeschossige Apartmenthäuser und Hotels.
Vor einigen Tagen waren wir am Wasser entlang in östlicher Richtung gewandert. Das Meer brauste und brandete rechts von uns gegen den Strand, wo einige Surfer über die heranrollenden Wellen tanzten. Nachdem die „Restaurantmeile“ passiert war, reckten sich links von uns dicht an dicht die Apartmenthäuser in den Himmel. Monoton, austauschbar und ohne Charme.
Wir bogen links ab in eine der Straßen zwischen den Häuserschluchten. Hier nur noch Stein, nur noch Pflaster! Plötzlich ein „Mas-y-Mas“-Supermarkt. Diese Kette führt einige deutsche Produkte, darunter sauer eingelegte Rollmöpse. Da kann der Käpt´n nicht widerstehen, auch wenn er Einkaufen hasst.
Mit unserer „sauren Beute“ ging es zügig zurück an Bord. Zum Abendessen standen Bratkartoffeln mit Hering auf dem Tisch. Schade, dass Mas-y-Mas so weit weg und der Weg dorthin so wenig attraktiv ist.
Gestern spazierten wir wieder los. Hinter dem Fischereihafen erreichten wir die Uferpromenade „Paseo Vista Alegre“. Ein beliebtes Fotomotiv: Die Musikantengruppe mit „Alibi-Frau“.
Bei den Fiestas, die wir hier in Spanien miterlebt haben, konnten wir massenhaft solche Musiker beobachten. Voller Lebensfreude, dicht gedrängt und mit viel „Schmackes“ bliesen sie in ihre Instrumente und bearbeiteten ihr Schlagzeug, dass ihnen der Schweiß auf der Stirn stand.
Aber dieses kleine Orchester hier? Brav haben sie sich zu einem Kreis aufgestellt. Das hübsche Mädchen spielt die Klarinette, die Männer Trompete, Saxophon und Trommel. Sie spielen auswendig, doch keiner schaut zum Dirigenten. Wie sollen sie da mitkriegen, dass er zu leiserem Spiel mahnt? Machen sie sich stattdessen etwa gegenseitig schöne Augen? Noch nicht mal das! Jede(r) schaut mehr oder weniger zu Boden, einzig auf sein eigenes Spiel konzentriert. Die Abstände zwischen den Musikanten sind recht groß. Stünden sie enger zusammen, würden sie besser hören, was der andere treibt. Ganz wichtig beim Orchesterspiel! Und sind das wirklich Spanier? So emotionslos habe ich die noch nie erlebt! Was will uns der Künstler damit sagen?
Wir wandern weiter in westlicher Richtung und kommen an der Eingangstür des „Real Club Nautico de Torrevieja“ vorbei. Aus edlem Holz mit Kassettenmuster gefertigt mutet sie an wie der Eingang zu einem Castillo. Auch das Wappen, das das schmiedeeiserne Gitter ziert, wirkt wahrhaft königlich.
Was bedeutet eigentlich „Club Nautico“ im Gegensatz zu „Marina“? Nun ja, „Club“ sagt ja schon, dass es sich um einen Verein, hier um einen Verein von Wassersportlern handelt. Abhängig vom Vereinsvermögen ist die Ausstattung des Clubs mehr oder weniger luxuriös. Das betrifft zum Beispiel die Waschräume. Ein Restaurant mit Bar ist Standard. Hier trifft man sich zum geselligen Zusammensein. Gäste sind aber willkommen. Die Speisekarte des hiesigen Clubs zeigt, dass es sich in Torrevieja um ein hochpreisiges Restaurant handelt.
Wenn freie Plätze vorhanden sind, ist man für einige Tage auch als Hafengast im Club willkommen. Dann darf man meist, aber nicht immer, die Einrichtungen des Clubs nutzen. In Javea war uns zum Beispiel die Benutzung des Pools verwehrt, in Villajojosa gab es Extraduschen für Vereinsmitglieder. Will man längere Zeit in einem solchen Club verbringen, z.B. einen Liegeplatz für den Sommer oder Winter buchen, muss man in der Regel Vereinsmitglied werden. Für einige tausend Euro „Eintrittsgeld“ genießt man dann den Vorzug eines dauerhaft günstigen Platzes und alles andere, was zum Club gehört. „In der Regel“ bedeutet, dass manche Clubs auch Winterlagerplätze an Nicht-Mitglieder vermieten, wenn Überkapazität besteht und Geld in die Vereinskasse gespült werden muss.
Nun ja, das Gebäude des Clubs ist ja ganz imposant. Die Anlage des folgenden „Eras de la Sal“, einer Nachbildung der Verschiffungsanlage für das Salz aus dem Jahre 1777 ist interessant, doch „schön“ ist beides nicht. Auch die riesige Hafenanlage von Torrevieja mit dem Industriehafen, den Yachthäfen mit 1500 Plätzen und dem Fischereihafen ist nicht besonders schön.
Vielleicht finden wir ja dahinter etwas „Schönes“?
Wenn man schmale Strände, die noch schmaler durch die Bebauung mit Cafes und Restaurants gemacht wurden oder Grafitis, Brachen und Wohnblocks schön findet, wären wir hier schnell fündig geworden.
Doch dann fiel unser Blick auf eine grüne Oase, aus der vielstimmiges Gekreische an unser Ohr drang. Etwa Papageien?
Auf den schmalen Wegen zwischen Florettseidenbäumen und Palmen spürten wir dem Gekrächze nach und entdeckten schließlich die grünen Verursacher mit der grauen Brust. Flink huschten sie zwischen den Baumkronen hin und her, landeten auch manchmal auf dem Rasen zwischen den Tauben. Dann entdeckten wir riesige Nester in den Baumkronen. Aus dem Einflugloch lugte neugierig ein grüner Vogel mit gebogenem Schnabel heraus, während sich gleich zwei andere an der „Hausfassade“ zu schaffen machten.
Es war eine Kolonie von „Mönchssittichen“ (Myiopsitta monachus). Die Heimat dieser Papageien ist ursprünglich Südamerika, doch als „Neozoen“ haben sie sich in Nordamerika und einigen Teilen Europas eingebürgert. Das bedeutet, dass sie sich in einem Gebiet etabliert haben, in dem sie vorher nicht heimisch waren. Eine solche „biologische Invasion“ erfordert Anpassungsfähigkeit, hohe Fortpflanzungsraten und oft auch eine Assoziation zum Menschen.
Anpassungsfähigkeit ist wesentlich durch erhöhte kognitive Leistungen möglich, was bei den schlauen Papageien außer Frage steht. Eine hohe Fortpflanzungsfähigkeit besitzen sie wohl auch mit 5 bis 6 Eiern pro Gelege. Die Brutzeit beträgt 22-23 Tage, nach 42-45 Tagen sind die Papageienkinder flügge, nach weiteren zwei bis drei Wochen gehen sie schon ihre eigenen Wege. Dann bauen sie ihr Nest bevorzugt in der Nähe von Mama und Papa. Diese Aufgabe teilen sie sich mit weiteren Paaren, indem sie Mehrfamilienhäuser basteln. Jede Wohneinheit besitzt ein Kinderzimmer (Brutzimmer), ein Schlafzimmer und einen Aufenthaltsraum. Es sind die einzigen Papageien, die Nester bauen. Ansonsten gehört diese Spezies zu den Höhlenbrütern. Und was ist mit der Assoziation zum Menschen? Da kommt ihnen wohl der „Oh, wie süß!“-Effekt zugute. Zumindest gilt das für mich.
„Wäre Darwin mit dir unterwegs gewesen, wäre er heute noch nicht am Ziel angekommen,“ meint der Käpt´n ungeduldig, als ich immer noch unterm Baum stehe und fotografiere.
Sind doch zu schöööön, die grün-grauen Krächzer, die da so vorwitzig aus ihrer Haustür zu mir runterschielen! Oder?