27.10.2016 – Die Königin der Straßen

Broadway, Champs Elysees, Kurfürstendamm und Elbchaussee; Seidenstraße, Jacobsweg und Alte Salzstraße: Das sind Namen, die mir spontan einfallen, wenn ich an Straßen denke. Es sind Hauptstraßen, Prachtstraßen, Pilgerstraßen oder Handelsstraßen: alt, berühmt und viel befahren. Irgendwann habe ich ihren Namen erfahren, sei es, weil ich von ihnen gelesen oder gehört habe, oder weil ich selbst über eine dieser Straßen gelaufen bin. Doch es gibt da eine Straße, deren Name ich noch vor all den anderen kannte!

Es muss wohl einer meiner engagierten Landschullehrer gewesen sein, der in früher Schulzeit im Geschichtsunterricht den Namen Via Appia nannte. Fiel dieser Straßenname, tauchten vor meinem geistigen Auge stets Heerscharen von römischen Soldaten auf, die aus Rom hinauszogen, um die Welt zu erobern. Auch die Frage „Quo vadis?“ war eng mit dem Namen Via Appia verbunden, wodurch das Geschichtsträchtige dieser Straße zusätzlich einen mystisch-heiligen Aspekt bekam.

Damals, in den sechziger Jahren, hätte ich nicht daran gedacht, die Via Appia einmal selbst zu betreten und quasi in die Fußstapfen der römischen Soldaten zu treten. Und auch der Käptn, der sich schon seit frühester Jugend für Monumentalfilme aus dem alten Rom begeistern konnte, ist ganz andächtig, als wir vor dem Schild mit der Aufschrift „VIA APPIA ANTICA“ stehen.1-img_0050

Über 2000 Jahre alt ist das Pflaster dieser schnurgeraden „Königin der Straßen“! Den Namen verdankt sie ihrem Erbauer, dem Konsul Appius Claudius. Begonnen wurde der Bau im Jahre 312 vor Christus, zuerst bis in die Albaner Berge im Süden der Campagna Romana, dann fortgesetzt bis Capua und schließlich beendet im ca. 450 km entfernten Brindisi.

Auch im Straßenbau erwiesen sich die alten Römer als wahre Könner. Das Straßenbett wurde zunächst aus mehreren Schichten aus Kieselsteinen, Sand, Schotter und gestampftem Kies aufgebaut. Die Straßendecke bildeten geschliffene und miteinander verbundene Basaltplatten.2-img_0075

Aufbau einer römischen Straße

Weder der Verkehr noch die Witterung konnten diesen Straßen etwas anhaben, so dass sie im Gegensatz zu den heutigen Straßen die Zeit überdauerten.3-img_0051

Wir auf der Via Appia!

Damit gehörte die Via Appia zu den großen „viae consolaris“, die von Rom aus in alle Richtungen und Gebiete des sich ständig vergrößernden Reiches führten. Die Via Appia gehörte auch zu den gepflasterten „viae silice stratae“, die sehr widerstandsfähig und sicher waren. Ihre genormte Breite von 14 römischen Fuß (4,15 m) erlaubte das gleichzeitige Vorbeifahren zweier Wagen. Denn natürlich zogen nicht nur die römischen Legionen über die Straßen, sondern auch Händler aller Art belieferten die Stadt mit ihren Waren.

Auf den gestampften Lehmwegen links und rechts der Fahrbahn konnten die Fußgänger früher sicher an der Via Appia entlanglaufen.

Leider wird die Via Appia bis heute teilweise von Autos befahren und ein Fußgängerweg fehlt. Die parkenden Wagen am Wegesrand verengen die Fahrbahn und die holprige Piste hat wenig Auswirkung auf das zügige Fahrtempo der Italiener, so dass wir uns schon bald „abschminken“, die ganze Via Appia vom Grabmal der Cecilia Metella bis zur Kirche S. Maria in Palmis (auch „Domine quo vadis“ genannt) zu laufen.

Schon der Weg bis hierhin war im „Autoland Italien“ sehr anstrengend. Wir waren nämlich mit der Metro bis zur Station „Arco di Tavertino“ gefahren, um dann die rund zwei Kilometer über die Straßen Arco di Tavertino, Appia Nuova und Via dell´Almone bis zur Via Appia Antica zu laufen. Diesen „Wanderweg“ kann ich hier leider nicht weiterempfehlen. Der brausende Straßenverkehr und der schmale, teilweise sogar fehlende Fußgängerweg waren wirklich abschreckend. Hätten wir ab der Metrostation bloß den Bus genommen!

Für den autofreien Teil, der stadtauswärts nach dem Grabmal der Cecilia Metella beginnt, haben wir heute leider keine Zeit mehr, wenn wir uns noch die berühmten Grabstätten an der Via Appia ansehen wollen.

Das römische Gesetz erlaubte nämlich nicht die Bestattung der Toten innerhalb der Stadtmauern. Deshalb errichteten die wohlhabenden Römer ihre Grabmäler außerhalb entlang der Straßen. Ein besonders prächtiges Beispiel für eine monumentale Grabanlage wurde der Schwiegertochter des General Crassus, der unter Caesar in Gallien kämpfte, an der Via Appia errichtet. Sogar Goethe ließ sich während seiner Italienreise vor dem imposanten Rundbau porträtieren!4-img_0067

Grabmal der Cecilia Metella heute4b-img_0058

und früher

Kurz dahinter folgt ein weiteres Grabmal, das von Kaiser Maxentius für seinen früh verstorbenen Sohn Romulus zu Anfang des 4. Jahrh. n. Chr. erbaut wurde. Aber nicht nur der Rundbau im Stil des Pantheon, auch ein ganzer „Circus“ wurde im Gedenken an den Kaisersohn gebaut. Hier – wie auch im „Circus Maximus“ am Fuße des Palatins – fanden die bei den Römern so beliebten Wagenrennen statt. Der Schriftsteller Ammianus Marcellinus beschrieb einmal die Sportbegeisterung der Römer zu dieser Zeit: „Für die Römer ist der Circus Maximus zugleich Tempel und zu Hause. Viele machen nachts kein Auge zu, in Sorge um das Ergebnis des Rennens…“5-img_0070

Das Mausoleum für Romulus6-img_0073

Der Circus des Maxentius ist heute eine grüne Oase.7-img_3770

Der Obelisk, der einst den Mittelstreifen des Circus Maxentius krönte, ziert heute den Vier-Ströme-Brunnen auf der Piazza Navona.8-img_0092

Der Circus Maximus liegt in einer Senke zwischen dem Monte Aventino und dem Monte Palatino.

Im Circus Maxentius merke ich, dass mir mittlerweile das Grün von Feldern und Wäldern fehlt. Hier könnte ich noch länger durch die Gegend streifen, aber wir wollen wenigstens noch eine der Katakomben anschauen, die ebenfalls an der Via Appia errichtet wurden. Deshalb laufen wir weiter bis zur Kirche San Sebastiano mit den Sebastians-Katakomben.9-img_0077

Die Figur am Grab des heiligen Sebastian wurde von einem Schüler des Bildhauers Bernini geschaffen.

Unter der Kirche sind die ältesten Katakomben von Rom. Das 12 Kilometer lange Gängelabyrinth umfasst über drei Stockwerke verteilt 80 000 Grabstätten. Da man sich darin leicht verlaufen könnte, ist eine Besichtigung nur per Führung möglich. Wir haben Glück und können gerade noch Karten für die letzte Führung des Tages ergattern.10-img_0071

Unser Ticket für die Katakomben.

Dann steigen wir hinunter auf die zweite Etage des dunklenTotenreichs.11-img_0085

Das (unerlaubt) geschossene Foto einer Einzelgrabstätte.

In den engen, niedrigen Gängen riecht es modrig. Links und rechts schauen wir in die (leeren) Grabhöhlen, die in die Wände getrieben sind. Immer wieder zweigen Nebengänge vom Hauptgang ab, durch den wir uns im Gänsemarsch hindurchquetschen. Es sind teilweise Einzel-, teilweise  Gemeinschaftsgräber, die nach der Bestattung mit Platten verschlossen wurden und auf denen der Name sowie symbolische Zeichen eingeritzt wurden. Die Taube mit dem Olivenzweig als Symbol des Friedens ist ja bekannt, doch die Artischocke als Symbol der Hoffnung war mir neu. In der oberen Etage der Katakomben kommen wir wieder heraus. Hier finden sich noch einige prunkvolle Grabstätten wohlhabender Römer. Nach einer halben Stunde hat nun der Führer seine englischen Erklärungen abgespult und führt uns noch schnell in die Kirche. Wir erfahren von ihm, dass hier auch einer der Pfeile, die den heiligen Sebastian marterten, als Reliquie aufbewahrt wird und dass es sich bei den Fußabdrücken in der Seitenkapelle um die von Jesus handelt, als er in „verklärter“ Gestalt dem Petrus auf der Via Appia begegnete. Als nämlich Petrus vor Kaiser Nero aus Rom floh, traf er hier seinen Herrn und fragte, wohin er gehe. Auf die Antwort: „Ich gehe nach Rom, um mich ein weiteres Mal kreuzigen zu lassen,“ besann sich „Der Fels“ seines Auftrags als Kirchengründer und kehrte nach Rom zurück. Hier starb er den Märtyrertod, indem er kopfüber gekreuzigt wurde.12-img_0089

Auch Jesus hinterließ seine Spuren auf der Via Appia.

Die in der Kirche verehrten Fußabdrücke lassen wir erst einmal so stehen. Lustig ist aber die ernsthafte Frage eines Besuchers an den Führer: „Und es sind die Original-Fußabdrücke?“ Der Führer schnappt kurz nach Luft, zieht die Schultern hoch, verdreht etwas die Augen und presst „i-yesss“ heraus, um sich dann auf dem Absatz umzudrehen und die Führung zu beenden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eine Antwort

  1. Pingback: Das antike Rom (3) – Die Königin der Straßen – Via Appia Antica | WoMolix's Reisefreiheit nicht nur mit dem Wohnmobil

  2. Vielen Dank für die interessanten Infos ! „…und dass es sich bei den Fußabdrücken in der Seitenkapelle um die von Jesus handelt…“

    Hier die Story auf der Via Appia im Morgengrauen nach dem Roman „Quo Vadis“:

    „Beim nächsten Morgengrauen schritten zwei dunkle Gestalten auf der Via Appia der Campania zu. Es waren dies Nazarius, der Sohn der Miriam, und der Apostel Petrus, der Rom und seine Glaubensbrüder verließ.
    Die Nebelschleier zerrissen, und die weite Campania mit den darauf zerstreuten Häusern und Grabmälern und mit den vereinzelten Baumgruppen, in deren Tautropfen die aufgehende Sonne sich spiegelte, wurde sichtbar.
    Auf dem Wege war kein Mensch zu sehen. Die Landleute, welche Sommergetreide und Gartenerzeugnisse nach der Stadt fuhren, sah man noch nicht. Die Steinfliesen, mit denen der Weg bis ins Gebirge ausgelegt war, hallten wider von dem Klappern der Holzschuhe, welche die beiden Wanderer an den Füßen trugen.
    Es schien dem Apostel, als ob der aufgehende goldene Sonnenball, anstatt höher und höher zu steigen, vom Gebirge abwärts und den Weg entlang rolle. Er hielt den Schritt an und fragte: »Siehst du das Licht, das auf uns zukommt?«

    »Ich sehe nichts!« entgegnete Nazarius.

    Doch Petrus bedeckte nach einer Weile die Augen mit der Hand und sprach:

    »Eine Gestalt naht uns im Sonnenglanze!«

    Es war nicht das leiseste Geräusch nahender Schritte vernehmbar. Nazarius sah nur die Bäume in der Ferne beben, als würden sie geschüttelt, und gewahrte staunend einen sich immer weiter über die Ebene verbreitenden Lichtschein. Er sah den Apostel verwundert an.

    »Was ist dir, Rabbi?« fragte er unruhig.

    Den Händen des Apostels war der Reisestab entfallen, und er starrte mit halbgeöffneten Lippen unbeweglich vor sich hin; auf seinen Mienen wechselten Erstaunen, Freude und Begeisterung. Plötzlich warf er sich auf die Knie, streckte die Arme aus und rief:

    »Christus! Christus!«

    Und er warf sich zur Erde nieder, als ob er jemandes Füße küßte.
    Lange verharrte er so stillschweigend, dann vernahm man die von Schluchzen unterbrochene Stimme des Greises:

    »Domine, quo vadis?«

    Nazarius vernahm keine Antwort, Petrus aber hörte eine traurige, sanfte Stimme:

    »Weil du mein Volk verlassest, so gehe ich nach Rom, um mich zum zweiten Male kreuzigen zu lassen!«

    Das Antlitz im Staube, lag der Apostel lange sprach- und regungslos. Nazarius fing schon an zu fürchten, daß der Greis ohnmächtig oder gar tot sei. Doch raffte er sich plötzlich auf, erhob sich, griff mit zitternden Händen nach dem Pilgerstabe und wandte sich, ohne ein Wort zu reden, wieder der Siebenhügelstadt zu.

    Der Knabe, dies erblickend, fragte wie ein Echo: »Quo vadis, Domine?«

    »Nach Rom,« versetzte der Apostel.

    Und er kehrte zurück…“

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