Am 30. Oktober ist es dann so weit. Wir bringen unser Schiff ins Winterlager. Und das bei knallblauem Himmel, strahlendem Sonnenschein und 25°C im Schatten.
Kaum verlassen wir die Hafenausfahrt vom Porto di Roma, könnten wir schon wieder endlos weiterfahren, so sehr lockt das ruhige, blaue Mittelmeer. Doch nach knapp 1 1/2 Meilen gleich „um die Ecke“ den Tiber flussaufwärts, ist das Vergnügen vorbei.
Der Besitzer von Cantiere Altamarea steht an Land und unterhält sich mit Kunden, als wir auf seinen Steg zulaufen. Er winkt uns zu und kommt, um die Leine anzunehmen. Dann gehen wir ins Büro, um ein Formular auszufüllen. Der Fernseher läuft und wir sehen zerstörte Häuser in den italienischen Nachrichten. Schon wieder hat es nicht weit von Rom entfernt ein Erdbeben gegeben. Erdstöße der Stärke 6,4 haben in mehreren Ortschaften viele alte Gebäude zum Einsturz gebracht. Menschen sind bisher wohl nicht zu Schaden gekommen. Bis Rom war das Beben spürbar! „In den Autos sind die Alarmanlagen durch die Vibration ausgelöst worden und die Menschen stürzten erschrocken auf die Straße. Nun ist auch noch die Metro gesperrt,“ berichtet der Cantiere-Besitzer.
Da es im Wasser ja immer mehr oder weniger „wackelt“, haben wir bisher von den Erdbeben – drei an der Zahl – nichts mitbekommen. Doch wieder einmal wird uns klar, dass die Gefahr von „Terramotos“ in Italien immer gegeben ist, ähnlich wie im Rheinland, wo die Erde ebenfalls hin und wieder bebt.
Auch am letzten Oktobertag bleibt das Wetter strahlend schön. Während auf dem Tiber kleine und große Boote an uns vorbeiziehen und die Enten bei der Flussüberquerung mit der Strömung kämpfen, erledigen wir, was zu tun ist, wenn man sein „zweites Zuhause“ bald verlassen muss.
Die gewaschenen Kapok-Sitzkissen werden zum gefühlt tausendsten Mal auf die Reling gehängt und wollen trotz der warmen Sonne einfach nicht durchtrocknen. Ich schaffe Platz im Bücherregal und sortiere aus, was wir demnächst nicht mehr brauchen. Schweren Herzens trenne ich mich von einem meiner diversen Hefte mit handgeschriebenen spanischen Verben. Welche Arbeit, welches Wissen landet da im Mülleimer! Aber Spanisch brauche ich in naher Zukunft eher nicht. Vielleicht sollte ich etwas Griechisch lernen? Oder Italienisch? Die Italiener sind doch soooo nett, sie verdienen es wirklich, dass man es ihnen in ihrer Sprache sagen könnte. Aber die meisten können ein paar Brocken Englisch, das reicht für die Verständigung. Also doch besser bei „Babbel“ Griechisch lernen….
Der Käptn werkelt währenddessen an Deck herum. Die Windfahne der Selbststeueranlage ist schon abgebaut. Nun soll ich dabei helfen, die neuen Planen probeweise über den Baum zu ziehen und an der Reling zu befestigen. Schließlich haben wir einen (ungefähren) Plan, wie wir sie am Mittwoch anbringen werden, wenn unsere Anima mea auf dem Trockenen steht.
„Wolltest du heute nicht auch in den Mast?“ frage ich schließlich und weiß schon, dass das gar nicht gut ankommt. Wir sind halt nicht mehr die Jüngsten und Mastklettern gehört nicht mehr zu den Lieblingsdisziplinen, wenn man fast 70 ist. Aber dann überwindet er sich doch und holt den Windmesser herunter, während unten die Boote vorbeifahren und mehr oder weniger hohe Wellen schlagen. Das Toplicht und die Windex bleiben oben, sie haben sich „festgefressen“ und können mit einer Hand nicht gelöst werden. „Der Mast müsste mal gezupft werden. Überall ist Flugrost, der entfernt werden müsste“, meint der Käptn, als er heruntersteigt. Früher in Deutschland haben wir jedes Jahr im Winterlager den Mast gelegt und die Wanten kontrolliert. Seit vier Jahren haben wir das nicht mehr gemacht. Hier im Mittelmeer tut das kein Mensch! Noch nicht mal die Segel holen viele runter, wenn der Winter kommt. Entsprechend verspakt sehen die teuren Tücher dann auch aus, wenn sie monatelang im salzigen Nass eingerollt waren. Unsere Segel haben wir schon im Porto di Roma abgenommen, die Nähte kontrolliert, gefaltet und in die Segelsäcke verpackt.
Dann gibt es einen Imbiss aus italienischen Chips, Käse mit Weintrauben und Martini mit Tonica. Die Vorräte müssen verbraucht werden, bevor wir abreisen. Heute Abend essen wir das letzte Mal an Bord. Auch die letzte Nacht in unserer Koje steht bevor. Es ist immer ein bisschen traurig, wenn die Zeit mit unserem Schiff zu Ende geht. Besonders dieses Jahr war so schön. Der neue Motor ist prima gelaufen, wir haben so viel gesehen und erlebt. Kein Schaden am Schiff, kein Unfall, keine Krankheit (von einem gezogenen Zahn im „Heimaturlaub“ mal abgesehen). Das beste Jahr, seit wir vor vier Jahren zu unserem Segelabenteuer aufgebrochen sind! Und dann auch noch so schönes Wetter in diesem friedlichen, blau-grünen Flussparadies. Da hilft es, dass Tochter Susanne morgens früh simst, ob ich am Wochenende auf Enkel Jakob aufpassen könnte. Ein Grund, nach Hamburg zu fliegen!
Am Dienstag, dem 1. November, ist Feiertag in Italien. Während sich die Italiener an Allerheiligen vom Halloween-Spektakel ausruhen (die Hunde in der Umgebung sind gestern Nacht fast verrückt geworden!), haben wir viel zu tun. Nach dem letzten Frühstück an Bord müssen die Koffer gepackt werden, denn heute ziehen wir ins Hotel um. Dann ziehe ich die Betten ab und hänge das Bettzeug in die Sonne. „Rom sehen und sterben, ihr Bordmilben!“ – Dann wird der Tisch losgeschraubt und auf eine Salonbank gestellt. Der Teppich wird vom Boden abgezogen. Mein Gott, das Teppichklebeband hält dieses Jahr aber verdammt gut! Auf dem Steg bearbeite ich den kleinen Teppich mit Reinigungsschaum. Dann leere ich den Kleiderschrank und schweiße alles ein, was an Bord bleibt. Während ich die Gardinen abnehme, trippelt draußen der Mops von nebenan demonstrativ über meinen frisch behandelten Teppich. Gut, dass er nicht auch noch seine Duftmarke draufsetzt. Mit reichen langsam die Hundehaufen hier auf den Gehwegen! Besonders in der Dunkelheit tritt man mit tödlicher Sicherheit in eine Tretmine von Pinscher- bis Dobermannkaliber. Es hat sich in Italien noch nicht herumgesprochen, dass man die Notdurft seiner Lieblinge in Plastik verpackt im nächsten Mülleimer entsorgt.
Nun kann der Käptn die Wassertanks reinigen, während ich mich auf den Weg zur Hafen-Wäscherei mache, um die Bettwäsche zu waschen. Während wir in unserer grünen Oase am Tiber nur die Vögel trällern hören, ist im Hafen ein Menschengedränge wie zur Hochsaison. Ganz Ostia scheint den Feiertag für einen Ausflug in die Marina zu nutzen. Da klingelt noch mal so richtig die Kasse bei den Restaurants und Geschäften, bevor es auch hier immer kühler und feuchter wird.
Es wird schon dunkel – wir haben ja jetzt schon Winterzeit – da mache ich mich mit meiner fast trockenen Bettwäsche auf den Heimweg. Der Trockner in der Lavanderia ist ein wahres Groschengrab und trocknet trotzdem nicht anständig. Aber aufhängen kann ich die Wäsche jetzt auch nicht mehr, denn am Abend wird die Luft schon feucht. Also drapiere ich alles im Salon, der nun zunehmend aussieht wie eine Rumpelkammer. Auch das Vorschiff ist vollgestopft bis obenhin und noch nimmt die Arbeit kein Ende. Aber für heute ist Schluss! Wir rollen unsere Koffer im Dunkeln um die Hundehaufen und erreichen das Hotel ohne „Treffer“.
Das „Barcelo´ Aran Blu“ befindet sich eine Viertelstunde entfernt direkt am Porto di Roma. Mit seinen vier Sternen ist es sozusagen das erste Haus am Platz. Aber es ist für uns am besten erreichbar und ein Zimmer „nach hinten raus“ war bei www.booking.com auch zu einem vertretbaren Preis zu haben. Seeblick hatten wir ja die letzten Monate genug!
Spätestens beim Frühstück am nächsten Morgen bereuen wir nicht, dieses Hotel gebucht zu haben. Während Italiener am Morgen nur Kaffee und Kuchen zu sich nehmen, gibt es hier ein reich bestücktes Frühstücksbüfett mit allem, was das Herz begehrt.
So gut gestärkt stürzen wir uns in die heiße Phase, denn heute geht es aus dem Wasser. An Bord gibt es erst einmal ein Geburtstagsständchen, denn vor 23 Jahren wurde Anima mea als Ausbauschale an einem nebligen zweiten November (Allerseelen) von der Firma Wrede auf dem Tieflader angeliefert. Zur Feier des Tages wird der Herd poliert. Unter Fluchen schafft es der Käptn, die Gasschläuche abzumontieren, denn nächstes Jahr müssen sie erneuert werden. Dann muss auch noch der Außenborder gewartet werden und, und, und…Endlich kommt die frohe Botschaft: Wir sollen in das kleine Becken zum Auskranen kommen.
Es ist immer ein spannender Augenblick, wenn das Schiff aus dem Wasser gehoben wird. Sitzen die Gurte richtig? Wie sieht das Unterwasserschiff aus? Ist die Schraube heil? (Wir waren ja einige Zeit ohne Opferanode unterwegs!) – Aber die Jungs von der Cantiere Nautico Altamarea verstehen ihr Handwerk und bringen unser Schiff sicher an seinen Platz direkt am Tiberufer.
Im Gegensatz zum letzten Jahr in Spanien ist das Unterwasserschiff kaum bewachsen und die Schraube hat auch keinen Schaden genommen.
Nach dem Aufpallen muss noch der Motor mit Süßwasser gespült werden. Dazu füllt der Käptn unten im Motorraum per Schlauch Leitungswasser in den Kühlkreislauf. Irgendwann schreit er „Starten!“ und ich drücke oben den Startknopf. Dann spuckt der Motor hinten das Spülwasser aus bis der Käptn „Stopp!“ schreit. Dann drücke ich den Stoppschalter und das Spiel geht von vorne los, bis der ganze Kreislauf sauber gespült ist. Nun wird Glyzerin eingefüllt, damit im Winter nichts einfrieren kann (auch hier kann es Minusgrade geben.) und wieder geht das Start- und Stoppspiel los.
Es ist schon wieder dunkel, als wir endlich die Abdeckplanen anbändseln können. Dicke Wolken ziehen auf und der Wind bläst kräftig. Die Planen schlagen und sind kaum zu bändigen. Der Käptn flucht, aber morgen soll es auch noch regnen. Wind und Regen sind eine ganz schlechte Kombination fürs Planenanbringen, also müssen wir das heute erledigen. Gegen acht Uhr haben wir es endlich geschafft und sind selbst auch geschafft. Im Hafen hat heute nur das teure „Poseidone“ geöffnet, doch es ist ja schließlich Geburtstag und wir haben Hunger.
Wir sind heute die einzigen Gäste in der „ewigen Flamme“ und werden wirklich verwöhnt mit leckerster Pasta, Schinken, Melone, Thunfischsteak und Tiramisu. Dann sinken wir in unser blütenweißes vier-Sterne-Bett. Draußen bläst ein frischer Wind. Der erste Härtetest für unsere Planen!
Am nächsten Morgen wandern wir gleich nach dem Frühstück zu Cantiere Altamarea, um die Planen zu kontrollieren. Ein Befestigungsband hat sich gelöst, aber sonst hat alles gehalten. Nun heißt es wirklich Abschied nehmen. Der Käptn dreht noch mal am Propeller. Dann tätscheln wir noch einmal das Ruder und sagen „Tschüss, Anima mea! Schlaf schön bis nächstes Jahr!“