Broadway, Champs Elysees, Kurfürstendamm und Elbchaussee; Seidenstraße, Jacobsweg und Alte Salzstraße: Das sind Namen, die mir spontan einfallen, wenn ich an Straßen denke. Es sind Hauptstraßen, Prachtstraßen, Pilgerstraßen oder Handelsstraßen: alt, berühmt und viel befahren. Irgendwann habe ich ihren Namen erfahren, sei es, weil ich von ihnen gelesen oder gehört habe, oder weil ich selbst über eine dieser Straßen gelaufen bin. Doch es gibt da eine Straße, deren Name ich noch vor all den anderen kannte!
Es muss wohl einer meiner engagierten Landschullehrer gewesen sein, der in früher Schulzeit im Geschichtsunterricht den Namen Via Appia nannte. Fiel dieser Straßenname, tauchten vor meinem geistigen Auge stets Heerscharen von römischen Soldaten auf, die aus Rom hinauszogen, um die Welt zu erobern. Auch die Frage „Quo vadis?“ war eng mit dem Namen Via Appia verbunden, wodurch das Geschichtsträchtige dieser Straße zusätzlich einen mystisch-heiligen Aspekt bekam.
Damals, in den sechziger Jahren, hätte ich nicht daran gedacht, die Via Appia einmal selbst zu betreten und quasi in die Fußstapfen der römischen Soldaten zu treten. Und auch der Käptn, der sich schon seit frühester Jugend für Monumentalfilme aus dem alten Rom begeistern konnte, ist ganz andächtig, als wir vor dem Schild mit der Aufschrift „VIA APPIA ANTICA“ stehen.
Über 2000 Jahre alt ist das Pflaster dieser schnurgeraden „Königin der Straßen“! Den Namen verdankt sie ihrem Erbauer, dem Konsul Appius Claudius. Begonnen wurde der Bau im Jahre 312 vor Christus, zuerst bis in die Albaner Berge im Süden der Campagna Romana, dann fortgesetzt bis Capua und schließlich beendet im ca. 450 km entfernten Brindisi.
Auch im Straßenbau erwiesen sich die alten Römer als wahre Könner. Das Straßenbett wurde zunächst aus mehreren Schichten aus Kieselsteinen, Sand, Schotter und gestampftem Kies aufgebaut. Die Straßendecke bildeten geschliffene und miteinander verbundene Basaltplatten.
Aufbau einer römischen Straße
Weder der Verkehr noch die Witterung konnten diesen Straßen etwas anhaben, so dass sie im Gegensatz zu den heutigen Straßen die Zeit überdauerten.
Wir auf der Via Appia!
Damit gehörte die Via Appia zu den großen „viae consolaris“, die von Rom aus in alle Richtungen und Gebiete des sich ständig vergrößernden Reiches führten. Die Via Appia gehörte auch zu den gepflasterten „viae silice stratae“, die sehr widerstandsfähig und sicher waren. Ihre genormte Breite von 14 römischen Fuß (4,15 m) erlaubte das gleichzeitige Vorbeifahren zweier Wagen. Denn natürlich zogen nicht nur die römischen Legionen über die Straßen, sondern auch Händler aller Art belieferten die Stadt mit ihren Waren.
Auf den gestampften Lehmwegen links und rechts der Fahrbahn konnten die Fußgänger früher sicher an der Via Appia entlanglaufen.
Leider wird die Via Appia bis heute teilweise von Autos befahren und ein Fußgängerweg fehlt. Die parkenden Wagen am Wegesrand verengen die Fahrbahn und die holprige Piste hat wenig Auswirkung auf das zügige Fahrtempo der Italiener, so dass wir uns schon bald „abschminken“, die ganze Via Appia vom Grabmal der Cecilia Metella bis zur Kirche S. Maria in Palmis (auch „Domine quo vadis“ genannt) zu laufen.
Schon der Weg bis hierhin war im „Autoland Italien“ sehr anstrengend. Wir waren nämlich mit der Metro bis zur Station „Arco di Tavertino“ gefahren, um dann die rund zwei Kilometer über die Straßen Arco di Tavertino, Appia Nuova und Via dell´Almone bis zur Via Appia Antica zu laufen. Diesen „Wanderweg“ kann ich hier leider nicht weiterempfehlen. Der brausende Straßenverkehr und der schmale, teilweise sogar fehlende Fußgängerweg waren wirklich abschreckend. Hätten wir ab der Metrostation bloß den Bus genommen!
Für den autofreien Teil, der stadtauswärts nach dem Grabmal der Cecilia Metella beginnt, haben wir heute leider keine Zeit mehr, wenn wir uns noch die berühmten Grabstätten an der Via Appia ansehen wollen.
Das römische Gesetz erlaubte nämlich nicht die Bestattung der Toten innerhalb der Stadtmauern. Deshalb errichteten die wohlhabenden Römer ihre Grabmäler außerhalb entlang der Straßen. Ein besonders prächtiges Beispiel für eine monumentale Grabanlage wurde der Schwiegertochter des General Crassus, der unter Caesar in Gallien kämpfte, an der Via Appia errichtet. Sogar Goethe ließ sich während seiner Italienreise vor dem imposanten Rundbau porträtieren!
Grabmal der Cecilia Metella heute
und früher
Kurz dahinter folgt ein weiteres Grabmal, das von Kaiser Maxentius für seinen früh verstorbenen Sohn Romulus zu Anfang des 4. Jahrh. n. Chr. erbaut wurde. Aber nicht nur der Rundbau im Stil des Pantheon, auch ein ganzer „Circus“ wurde im Gedenken an den Kaisersohn gebaut. Hier – wie auch im „Circus Maximus“ am Fuße des Palatins – fanden die bei den Römern so beliebten Wagenrennen statt. Der Schriftsteller Ammianus Marcellinus beschrieb einmal die Sportbegeisterung der Römer zu dieser Zeit: „Für die Römer ist der Circus Maximus zugleich Tempel und zu Hause. Viele machen nachts kein Auge zu, in Sorge um das Ergebnis des Rennens…“
Der Circus des Maxentius ist heute eine grüne Oase.
Der Obelisk, der einst den Mittelstreifen des Circus Maxentius krönte, ziert heute den Vier-Ströme-Brunnen auf der Piazza Navona.
Der Circus Maximus liegt in einer Senke zwischen dem Monte Aventino und dem Monte Palatino.
Im Circus Maxentius merke ich, dass mir mittlerweile das Grün von Feldern und Wäldern fehlt. Hier könnte ich noch länger durch die Gegend streifen, aber wir wollen wenigstens noch eine der Katakomben anschauen, die ebenfalls an der Via Appia errichtet wurden. Deshalb laufen wir weiter bis zur Kirche San Sebastiano mit den Sebastians-Katakomben.
Die Figur am Grab des heiligen Sebastian wurde von einem Schüler des Bildhauers Bernini geschaffen.
Unter der Kirche sind die ältesten Katakomben von Rom. Das 12 Kilometer lange Gängelabyrinth umfasst über drei Stockwerke verteilt 80 000 Grabstätten. Da man sich darin leicht verlaufen könnte, ist eine Besichtigung nur per Führung möglich. Wir haben Glück und können gerade noch Karten für die letzte Führung des Tages ergattern.
Unser Ticket für die Katakomben.
Dann steigen wir hinunter auf die zweite Etage des dunklenTotenreichs.
Das (unerlaubt) geschossene Foto einer Einzelgrabstätte.
In den engen, niedrigen Gängen riecht es modrig. Links und rechts schauen wir in die (leeren) Grabhöhlen, die in die Wände getrieben sind. Immer wieder zweigen Nebengänge vom Hauptgang ab, durch den wir uns im Gänsemarsch hindurchquetschen. Es sind teilweise Einzel-, teilweise Gemeinschaftsgräber, die nach der Bestattung mit Platten verschlossen wurden und auf denen der Name sowie symbolische Zeichen eingeritzt wurden. Die Taube mit dem Olivenzweig als Symbol des Friedens ist ja bekannt, doch die Artischocke als Symbol der Hoffnung war mir neu. In der oberen Etage der Katakomben kommen wir wieder heraus. Hier finden sich noch einige prunkvolle Grabstätten wohlhabender Römer. Nach einer halben Stunde hat nun der Führer seine englischen Erklärungen abgespult und führt uns noch schnell in die Kirche. Wir erfahren von ihm, dass hier auch einer der Pfeile, die den heiligen Sebastian marterten, als Reliquie aufbewahrt wird und dass es sich bei den Fußabdrücken in der Seitenkapelle um die von Jesus handelt, als er in „verklärter“ Gestalt dem Petrus auf der Via Appia begegnete. Als nämlich Petrus vor Kaiser Nero aus Rom floh, traf er hier seinen Herrn und fragte, wohin er gehe. Auf die Antwort: „Ich gehe nach Rom, um mich ein weiteres Mal kreuzigen zu lassen,“ besann sich „Der Fels“ seines Auftrags als Kirchengründer und kehrte nach Rom zurück. Hier starb er den Märtyrertod, indem er kopfüber gekreuzigt wurde.
Auch Jesus hinterließ seine Spuren auf der Via Appia.
Die in der Kirche verehrten Fußabdrücke lassen wir erst einmal so stehen. Lustig ist aber die ernsthafte Frage eines Besuchers an den Führer: „Und es sind die Original-Fußabdrücke?“ Der Führer schnappt kurz nach Luft, zieht die Schultern hoch, verdreht etwas die Augen und presst „i-yesss“ heraus, um sich dann auf dem Absatz umzudrehen und die Führung zu beenden.
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