Unser erstes Ziel im Saronischen Golf ist Korphos an der Küste des Peleponnes. Im Hafen gibt es keinen brauchbaren Platz für uns, denn die wenigen Plätze mit Mooringleinen sind bereits besetzt. Aber in der fast vollständig von Land umschlossenen Bucht gibt es genug gute Ankermöglichkeiten.
Dicht unter Land lassen wir gegen 15 Uhr auf etwa acht Meter Wassertiefe den Anker fallen. Er fasst sofort und gräbt sich fest in den gut haltenden Grund ein. So können wir beruhigt zusehen, wie sich der Himmel zunehmend verdunkelt. Dann grummelt es auch schon in den Wolken und ein paar Tropfen fallen herunter.
Aber ein richtiges Gewitter wird nicht daraus. Die Wolken ziehen hinaus auf´s Meer, und am Abend ist alles vorbei.
Korphos nach dem Unwetter
Doch kann der Bravste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt!
Wir haben in dieser großen Bucht ausgerechnet den Platz gegenüber von einem Haus gewählt, in dem ein junger Motorradfreak wohnt. In regelmäßigen Abständen schiebt der junge Mann sein Gefährt von seiner Terrasse auf die Straße hinunter und wirft es an. Dann macht es laut: „Brumm, brumm, brumm,“ und ab geht die Post in Richtung Dorfmitte. Die kurze, gerade Strecke wird mit Höchstgeschwindigkeit und entsprechendem Krach zurückgelegt. „Hindernisse“ überholt er selbstverständlich! Dann bremst er ab und fährt mit lautem Geknatter an den Tavernen vorbei durchs Dorf. Dahinter dreht er wieder voll auf. Er entfernt sich, indem der Lärm abnimmt, kommt dann aber wieder näher, prescht über die „Zielgerade“ zu seinem Haus zurück und fährt wie ein Stuntman die beiden Stufen auf seine Terrasse hinauf.
Es dauert nicht lange, da treibt es ihn wieder auf seinen Bock. Manchmal kommt auch ein Kumpel vorbei; denn zu zweit macht das nervtötende Rennen ja noch mehr Spaß.
Wir trösten uns mit dem Gedanken, dass wir übermorgen wahrscheinlich einen ruhigeren Platz haben werden. Aber dass die Dorfbewohner und die Urlauber das Tag und Nacht ertragen, ist schon erstaunlich!
Am nächsten Tag fahren wir mit dem Schlauchboot zum Minimarkt in Korphos. Da kommt auch schon der Krachmacher angedonnert (Natürlich ohne Helm!), hält gegenüber vor der Taverne und geht grinsend zu seinen Kumpels. Kein Mensch drumherum verzieht eine Mine! Er hat hier wohl Narrenfreiheit. Aber er ist ja bei weitem auch nicht der einzige, der ohne Schalldämpfer durch die Gegend fährt, ohne dass es die Polizei oder irgendjemand stört.
Am Dienstagmorgen hat das Geknatter ein Ende. Wir verlassen Korphos, steuern knapp zehn Meilen weiter nach Süden und erreichen Palaia Epidavros.
Hier kennen wir uns schon ein bisschen aus, denn während unserer Peleponnes-Autotour Anfang August haben wir hier im Hotel Marialena übernachtet.
Im Hafen werden wir allerdings nicht übernachten, denn auch hier gibt es keine Mooringleinen, an denen wir festmachen könnten. In der Bucht südlich vom Hafen liegen große Mooringtonnen aus, doch wir wissen nicht, wem sie gehören und ob wir sie benutzen dürfen.
Deshalb ankern wir mit genügend Abstand zu den Mooringtonnen neben der „Fahrrinne“, deren Anfang durch zwei Baken bezeichnet wird.
Von hier aus beobachten wir das geschäftige Treiben. Ein Boot nach dem anderen steuert zwischen den Baken hindurch zum Hafen, wo mit genügend Abstand zur Kaimauer der Buganker fällt und anschließend das Schiff rückwärts zur Mauer gesteuert wird.
Beneidenswert, wie problemlos die „Bavarias“, „Hanses“ und „Beneteaus“ neuerer Bauart das können!
Aber natürlich muss das Manöver auch gelernt sein!
Ein Paar mit einem kleinen Charterschiff hat es jedenfalls noch nicht so ganz drauf. Mehrmals muss die Frau vorne an der Ankerwinsch den Anker rauswerfen und wieder hochholen, bis der Skipper mit Kölner Zungenschlag es schließlich schafft, zwischen zwei Booten an der Mauer anzulegen.
Inzwischen kommt ein Schiff nach dem anderen in den Hafen und nur noch wenige Plätze sind frei. Da bemerkt wohl der „kölsche“ Skipper, dass sein Anker nicht hält und beschließt, für einen neuen Anlauf seinen Platz zu verlassen.
Im gleichen Moment kommen mehrere große Yachten heran, die alle glauben, da wird ein Platz frei. Während auch jetzt mehrere Versuche des Kölners nötig sind, ehe das Schiffchen an seinen Platz zurückkehrt, kreisen die großen Yachten wie lauernde Raubvögel umeinander herum und kommen uns bei ihren knappen Ausweichmanövern bedrohlich nahe. Doch keiner lässt sich den Stress anmerken. Alle scheinen ganz cool und gelassen. Bis auf einen!
Der junge Typ sitzt auf einer großen Segelyacht, deren Banner darauf hinweist, dass sie zu einer dieser Segelschulen gehört, die hier regelmäßig einfallen, um ihrer Klientel für teuer Geld das prekäre Ankermanöver beizubringen. Am Steuerrad steht ein Mann mittleren Alters, an der Ankerwinsch hampelt ein kleines Mädchen herum, das die Fernsteuerung gerade als „Mikrophon“ benutzt und in irgendeiner Fremdsprache ihre Songs zum besten gibt. Dazwischen wuselt ein kleiner Junge herum.
Der junge Typ ist wahrscheinlich der „Segellehrer“. Während des Kreisens signalisiert er durch einen Pfiff auf den Fingern und anschließendem Handzeichen seinem „Konkurrenten“, dass er neben dem Kölner einparken will. Der Konkurrent tut erst mal so, als hätte er nichts mitgekriegt.
Da lässt der junge Typ seinen aufgestauten Frust raus und ruft zu uns – in fast akzentfreiem Deutsch- hinunter: „Merken Sie eigentlich nicht, dass Sie hier allen ganz furchtbar auf die Nüsse gehen?“
Wir sind uns keiner Schuld bewusst! Schließlich ankern wir nicht in der Fahrrinne, wie übrigens vorher ein italienisches Schiff und später (wegen Platzmangels) mehrere Yachten unterschiedlicher Nationalitäten.
„Bisher sind Sie der einzige, dem wir auf die Nüsse gehen! Aber Sie gehen uns langsam auf die Nüsse! Schau´n Sie mal lieber, dass Sie endlich irgendwo unterkommen!“ rufe ich ihm hinterher.
Und endlich! Das Kölner Paar hat es geschafft und – Schwupps! – wird das Anlegemanöver beim „Kotzbrocken“ eingeleitet und alle anderen können weiterkreisen, ohne, dass wir irgendjemandem „auf die Nüsse gehen“.
Irgendwann geht die erste Yacht an eine der Mooringtonnen neben uns. Eine weitere folgt ihrem Beispiel. Wir machen es trotzdem nicht nach, denn sollte doch noch ein Eigner auftauchen, hätten wir das Nachsehen.
Am nächsten Morgen verlegen wir uns aber etwas mehr „Abseits vom Geschehen“ hinter die Mooringtonnen, wo das Wasser immerhin noch gut drei Meter tief ist.
Auch von hier aus haben wir noch einen Logenplatz für das „Hafenkino“.
Ist es schon schwierig, in diesem begehrten Hafen einen Platz zu ergattern und in der drangvollen Enge anzulegen, so gibt es beim Ablegen andere Probleme.
Nachdem die Yachten der Segelschule am nächsten Morgen wieder ablegen, gibt es für die „Bazinga“ eine böse Überraschung.
Eine „Schülerin“ steht am Ruder, ein älterer „Schüler“ bedient die Ankerwinsch, ein jüngerer „Schüler“ steht „bei Fuß“ und der Segellehrer gibt vom Cockpit aus Anweisungen. Im Moment heißt es: „Anker auf!“
Die Kette klötert in den Ankerkasten und die Yacht schiebt sich aus der Lücke ins Hafenbecken. Plötzlich rauscht die Kette mit lautem Getöse zurück in die Tiefe. Verzweifelt versucht der Mann an der Fernbedienung, sie wieder hochzuholen, doch nichts tut sich. Der Segellehrer ruft auf Englisch: „Was hast du gemacht?“ – Die Antwort: „Nichts! Keine Ahnung, was da los ist!“
Der Segellehrer kommt nach vorne, merkt, dass wirklich nichts mehr geht und fummelt an der Ankerwinsch herum. Die Schüler sind mehr oder weniger geschockt und die Frau am Steuer vergisst fast, was sie zu tun hat und kommt dem Ankerlieger vor uns gefährlich nahe. Es ist eine Charteryacht mit Franzosen, die nun an die Reling springen und das Schiff abhalten wollen. Eine der Französinnen verliert etwas die „Contenance“ und wird laut. Da dreht sich der schwer beschäftigte Segellehrer endlich um, ermahnt seine Schülerin, schickt den älteren Schüler ans Steuer und sagt (auf Englisch) zu der Französin: „Schreien Sie nicht! – Wo kommen Sie her? – Es ist kein Problem!“ – Na ja, jetzt erst mal nicht mehr!
Doch das Trauerspiel nimmt kein Ende. Zu dritt versuchen sie nun, die Kette zu bewegen, was auch endlich gelingt. Aber es geht nur sehr schwer vorwärts und bald zeigt sich auch, warum! – Aus dem Wasser steigt ein Anker, der sich in der Kette verfangen hat. Es ist ein großer „Draggen„, der hier von einem anderen Schiff zurückgelassen wurde.
Keine Chance, den Draggen loszuwerden.
Durch „Entlasten“ mit einer Leine versucht der Segellehrer, den Draggen loszuwerden. Doch er kann die Kette nicht hoch genug ziehen, um den Draggen heraus zu fummeln.
Weder die Franzosen noch andere Crews, die das beobachten, rühren einen Finger. Mir tun die „Schüler“ leid, die immer verzweifelter dreinschauen. Also rufe ich hinüber: “ Sollen wir mit dem Dinghi kommen und helfen?“ – Klar, das Angebot wird dankend angenommen und der Käptn paddelt mit unserem „Rudi Koster“ hinüber.
Heinz und Rudi kommen zur Hilfe
Heinz befestigt eine zweite Leine um eine der Flunken, dann kann der Draggen aus der Kette gezogen werden. Schließlich wird die Leine gekappt und der Draggen versinkt wieder im Hafenbecken, wo er demnächst womöglich neuen Ärger verursachen wird.
Das zweite Tau wird befestigt.
Mit vielen „Thank you!“ verabschiedet sich die Segelschule. Ich verkneife mir die Bemerkung: „Freundliche Grüße an HELENA!“ (So hieß die Yacht, der wir so fürchterlich auf die Nüsse gingen.)
Wenig später hat eine andere Yacht ebenfalls Probleme beim Ablegen. Auch hier hängt ein anderer Anker an der Kette, kann aber von der Crew ohne fremde Hilfe ins Wasser zurückbefördert werden. Bleibt nur zu hoffen, dass die Yacht, die an diesem Anker hängt, nicht irgendwann an die Mauer stößt, weil der Anker nicht mehr sitzt.
Wir fragen uns, warum man hier in Griechenland die Häfen nicht endlich mit vernünftigen Moorings ausstattet wie es in den anderen Mittelmeerländern mittlerweile Standard ist.
Vielleicht liegt es tatsächlich an der Einstellung: „Es war immer so. Warum soll es geändert werden?“ oder die vielen Segelschulen und Flottillen, die das Anlegemanöver fleißig üben, fürchten um ihre Daseinsberechtigung. Und dann wären da noch die Taucher, die verloren gegangene Anker herausholen. So berichtet Rod Heikell im Hafenführer „Griechische Küsten“, dass im Hafen von Poros vermutlich einheimische Taucher die Mooringleinen an den neu verlegten Mooringblöcken abgeschnitten haben, weil sie auf ihren Bergelohn nicht verzichten wollten.
Wir müssen uns jetzt jedenfalls um einen neuen Ankerplatz kümmern. Alle drei Wetterberichte (Llamma, Windy und Zygrib) sagen für die nächsten Tage starken Meltemi an. Da brauchen wir eine Bucht, die nach Norden Schutz bietet.
Also verlegen wir uns auf die andere Seite der Bucht mit dem Namen Limin Palaias Epidavros. Hier blicken wir auf klares Wasser und einen kleinen, sauberen Strand vor dem grünen, bewaldeten Ufer.
Unser neuer Ankerplatz, das kleine Boot in der Mitte ist Rudi mit Heinz, rechts daneben die Anima mea und unser Nachbar, ein schönes Motorboot.
Keine Bar, kein Imbisswagen und auch keine Villa zerstört dieses malerische Fleckchen. Nur ein befestigter Uferweg mit schönen Ausblicken auf die Bucht führt vom Dorf zu dieser Badestelle (mit Mülleimer!), vor der wir schon seit zwei Tagen auf den großen Wind warten. Doch bisher ist nichts passiert, obwohl auch das Barometer einen heftigen Sprung gemacht hat.
Ist das etwa die Ruhe vor dem Sturm oder sind wir im falschen Film?
Die Anima mea schaut aufs Meer hinaus. Wann wird es weitergehen?
Die Geschichte vom Motorradtypen ist echt filmreif !
Lieber Grüsse aus Hamburg von Jürgen