04.10.2019 Tüdelkram und Schlupfloch

Der September verabschiedet sich mit „Mortimer“.

Ob für dieses wütende Sturmtief wohl ein Brexit-frustrierter Brite Pate stand?

Jedenfalls hat „Mortimer“ in Niedersachsen für ordentlich Kleinholz gesorgt und Emden sogar in Form eines Tornados überrollt.

Wir und die Anima mea haben aber die stürmische Nacht gut überstanden. Zum Ausschlafen hatten wir auch genug Zeit, denn um 22:00 Uhr fiel bei heftigem Regen an Bord der Landstrom aus. Kühlbox aus, Heizlüfter tot und Schicht im Schacht!

Um 9:00 Uhr morgens quetscht sich die Sonne wieder zwischen den dicken, grauen Wolken hervor. Wir haben noch immer keinen Strom und werfen die Leinen los.

Hoffentlich ist die enge Hafeneinfahrt über Nacht nicht verschlammt!

Wir tasten uns vorsichtig vorwärts und fahren schließlich ohne Grundberührung aus dem Mindener Yachthafen hinaus.

Nun melde ich uns telefonisch beim Tankwart an. Der soll ja etwas weiter abwärts des Kanals beim Campingplatz zu finden sein. Aber wo? – Den Campingplatz sehen wir, aber keine Tankstelle!

Doch da taucht ein PKW mit Anhänger auf. Darauf steht ein Tank.

Also so sieht die Mindener Bootstankstelle aus!

Wir legen an der Spundwand an und füllen unseren Tank und zwei Kanister mit Diesel auf. Dann geht es weiter zum „Wasserstraßenkreuz Minden“.

Seit 1915 wird hier der Mittellandkanal in einer Trogbrücke über das 13 m tiefer liegende Wesertal geführt. Diese Überführung besteht aus der alten, 370 m langen und der neuen, 341 m langen Brücke, wovon die alte Brücke nur noch vom Sportbootverkehr genutzt wird.

Während wir also über die alte Brücke fahren, ergibt sich ein fantastischer Blick über den Weserlauf. Dieser Fluss, aus dem Zusammenfluss von Werra und Fulda entstanden, bricht sich bei der Stadt Porta Westfalica („Tor nach Westfalen“) von Süden kommend zwischen dem Wesergebirge im Osten und dem Wiehengebirge im Westen seine Bahn und fließt durch die Norddeutsche Tiefebene über Bremen nach Bremerhaven, wo er in der Nordsee mündet.

 Wir schauen von der alten Brücke nach Süden auf den Weserlauf. Links das Weser-, rechts das Wiehengebirge. Dort erkennt man am Osthang des Wittekindsbergs (294,2 m ü. NHN) das 88 m hohe Kaiser-Wilhelm-Denkmal. Es wurde von 1892 bis 1896 errichtet und thront über dem Weserdurchbruch bei Porta Westfalica.

Noch immer quellen am Himmel dramatische Regenwolken, die von heftigen Windböen zerfetzt werden und der Sonne eine kurze Chance geben, uns ein wenig aufzuwärmen.

Von der 1200 Jahre alten Stadt Minden sehen wir von hier oben leider kaum etwas, da der Ausblick durch die neue Brücke versperrt wird. Und da wir wegen des „Schlackerwetters“ gestern auf einen Stadtbummel verzichtet hatten, wird uns diese Stadt lediglich als Ort mit einem netten Yachthafen und einer mobilen Tankstelle in Erinnerung bleiben.

Die folgenden 66 km bis Hannover sind relativ ereignisarm.

Ein Frachtschiff nach dem anderen kommt uns mit seiner gewaltigen Bugwelle entgegen oder schiebt sich an uns vorbei und lässt die Anima mea im Schraubenwasser schaukeln.

An den Ufern biegen sich die Bäume in den Sturmböen. Blätter wirbeln durch die Luft und bedecken den Kanal mit einem bunten Flickenteppich.

Der Käptn kriegt kalte Füße in seinen Gummistiefeln und ich ziehe mich fröstelnd unter die Sprayhood zurück.

Um 15:00 Uhr erreichen wir endlich die Gabelung des Fahrwassers vor Hannover.

Rechts ab geht es in den Stichkanal Linden, der über einen Verbindungskanal zur Leine bis zum Maschsee führt. Dort könnten wir beim Niedersächsischen MBC unterkommen und die Herrenhäuser Gärten fußläufig erkunden. Doch das wäre hin und zurück ein 16 km langer Umweg, weshalb wir den direkten Weg durch den nach links weiterführenden Mittellandkanal einschlagen.

Eine heftige Windböe von hinten pusht uns um 16:25 Uhr so heftig in die zugewiesene Box des Yachthafen Hannover, dass wir den eisernen Rahmen touschieren. Zu den Kratzern, die sich die arme Anima mea trotz Fendern und Fenderbrettern in den Schleusen eingefangen hat, kommt jetzt noch eine hässliche Wunde am Bug dazu. Ich könnte heulen!

Der Yachthafen Hannover liegt zwischen modernen, aber ansprechenden Bürogebäuden am nördlichen Rand der niedersächsischen Hauptstadt. Der hilfsbereite Hafenmeister hat sein Büro im Restaurantschiff. Er kassiert 36 Euro für zwei Übernachtungen, worin Dusche, Strom und prima WLAN bereits inbegriffen sind.

Doch Strom will erstmal nicht fließen. Das muss also an uns liegen!

Nachdem alle Sicherungen gecheckt sind, baut der Käptn den Stecker vom Stromkabel auseinander. Eindeutig ist da in Mortimers Sturmnacht Wasser hineingelaufen!

Mit Küchenpapier wir das Innenleben des Steckers getrocknet, und nach dem Zusammenbau funktioniert wieder alles.

Trotzdem wollen wir uns am nächsten Tag zur Sicherheit einen neuen Stecker im Baumarkt besorgen.

Dazu müssen wir nach einem kurzen Fußmarsch mit dem Bus in die Innenstadt fahren, wo wir für ein paar Euro einen neuen Stecker kaufen und anschließend bei „Yachtausrüster Penny“ die Bordvorräte ergänzen.

Schwer bepackt geht es mit dem Bus zurück zum Hafen. Mit unserer Tagesgruppenkarte könnten wir jetzt noch zum Sightseeing aufbrechen, doch das Wetter verdirbt uns die Laune dazu. Man muss ja auch nicht alles gesehen haben!

Stattdessen schmeiße ich die frischen Pommes von Penny in den Backofen und brate eine vegetarische Frikadelle für mich und eine „schweinische“ für den Käptn dazu, der es sich unter der wohlig-warmen Kuchenbude bei einem Gläschen „Primitivo – Doppio Passo“ aus dem Salento (bzw. aus dem Penny-Markt) gemütlich macht.

Ach, wie schön es dort war auf dem italienischen Stiefelabsatz bei den putzigen Trullis in Apulien und wie weit weg das alles schon wieder ist hier im herbstlich kalten Norden! Schön, dass ein gutes Schlückchen aus der Region der Erinnerung wieder auf die Beine hilft, während die Regentropfen klopfen.

Das hört sich alles sehr entspannt an, doch sind wir davon leider weit entfernt!

Vor uns liegt jetzt nämlich noch die Schleuse Anderten.

Hoffnungsfroh hatte ich den Hafenmeister gefragt, ob sie Schwimmpoller hat, aber zu meiner großen Enttäuschung kam eine abschlägige Antwort. „Zehnmal umlegen!“ hatte der schlaksige Mann mit den himmelblauen Augen geantwortet und dabei irgendwie unheilschwanger gegrinst.

Und deshalb denkt der Käptn auch nicht nur über Apulien, sondern vielmehr über eine neue „Schleusenstrategie“ nach.

In der letzten Nacht in Hannover bin ich in meinen Alpträumen in der Schleuse und komme nicht mehr raus, bis ich endlich wach werde.

Ohne Frühstück verlassen wir bereits um 9:10 Uhr den Hafen. Unterwegs schmiere ich Butterbrote und lege die Leinen für die Schleuse zurecht. Statt mit zwei Leinen wollen wir jetzt mit dreien arbeiten. Während eine Vor- und eine Achterleine auf dem Poller liegen und von mir gehalten werden, will der Käptn die dritte Leine (auch eine Vorleine) über den nächsten Poller legen, sobald er ihn erreichen kann. Hoffentlich kommen wir dabei nicht „in den Tüdel“!

Um 11:30 Uhr legen wir am Warteplatz vor der Schleuse an, wo bereits mehrere Berufsschiffe auf die Schleusung warten.

Am Sportbootanleger gibt es einen „Meldekasten“ und eine Telefonnummer für Sportboote.

Der Käptn drückt auf den Knopf und meldet uns beim Schleusenwärter an. Wir als einziges Sportboot werden natürlich „nachrangig“ behandelt und müssen uns auf 1 ½ Stunden Wartezeit einstellen. Nicht gut für unser Nervenkostüm!

Nacheinander gehen die Tore in den beiden Kammern auf und zu und ein Frachtschiff nach dem anderen kommt heraus oder fährt hinein. Gut, dass die Sonne scheint und unsere düsteren Gedanken aufhellt!

Dann gesellt sich ein kleines Motorboot zu uns. Das erhöht den Druck auf den Schleusenwärter um 50 %, aber nach wie vor meldet sich ein Frachtschiff nach dem anderen an und außerdem gibt es Probleme mit dem Funk, was zu Anspannung beim Schleusenpersonal führt.

Zwei Stunden und zehn Minuten sind vergangen, da tönt es endlich aus dem Meldekasten: „Die Sportboote! Bitte hinter die Berufsschiffe in die Backbordkammer fahren!“

Neues Adrenalin schießt in unseren Körper!

Die Motorbootfahrer fragen, an welcher Seite wir anlegen wollen. Ihre Lieblingsseite ist die rechte. Also sei´s drum, vielleicht dankt uns der Himmel unsere Großzügigkeit und wir erklären, dass wir links anlegen werden. Dann fahren wir los, während das Motorboot noch an der Mauer bleibt.

Doch die Ampel schaltet nicht auf grün! „Dreh um!“ rufe ich dem Käptn zu und rufe über Telefon bei der Schleuse an. „Wir sollten in die linke Schleusenkammer fahren, aber die Ampel wird nicht grün! Was sollen wir machen?“ rufe ich ins Telefon. „Ach, da ist wohl was schief gelaufen. Geht mal wieder an die Mauer zurück!“ ist die Antwort. Meine armen Nerven!

Als wir wieder beim Sportboot sind, erklärt der Skipper ganz lakonisch: „Wir sind nicht losgefahren, weil das Schleusentor ja noch gar nicht auf war!“

Beneidenswert, wenn man so die Ruhe weg hat. Aber die kleinen Motorboote mit ihrem kurzen Kiel benehmen sich in den Schleusen ja auch wie brave Schoßhündchen, während die Anima mea eher einem aufgeregten Jack Russell Terrier ähnelt, wenn ihr das Wasser unter den Kiel schießt.

Endlich geht nun das Schleusentor auf und die geschleusten Frachtschiffe verlassen die Kammer. Danach wird die Ampel grün und zwei Frachtschiffe fahren hinein. Nun kommt erneut die Aufforderung für uns Sportboote, ebenfalls in die Kammer zu fahren. Zu allem Überfluss öffnet jetzt auch noch der Himmel seine Schleusen und lässt einen kräftigen Graupelschauer auf uns niederprasseln.

Wir legen uns an die linke Wand mit größtmöglichem Abstand zum Frachter vor uns und belegen den Poller. Dann schaue ich die riesige, glitschige Wand hoch. Acht Poller zähle ich. „Besser als zehn!“ denke ich, dann schließt sich auch schon das Tor hinter uns und das Wasser strömt unter den roten Pumpenhäuschen vom Boden der Schleuse in die Kammer.

Es geht 14,70 m zügig aufwärts, aber nicht so „holter die polter“ wie in Wanne-Eickel! Und unsere „Drei-Leinen-Technik“ funktioniert!!!

Ein bisschen außer Atem, aber heil und erleichtert kommen wir oben an. Dann werfen die Frachtschiffe ihre Schraube an, doch auch das macht uns nicht zu schaffen. Als sich das Wasser beruhigt hat, fahren wir im Sonnenschein aus der Kammer hinaus. Die Jacke und die Schwimmweste des Käptn sind vom Schleusenglibber verdreckt, doch er strahlt mit der Sonne um die Wette.

 Die Schleuse Anderten ist Geschichte. Im Hintergrund sieht man die rot-weißen Pumpenhäuschen, unter denen das Wasser in die Kammern strömt.

Jetzt kann das Wetter machen was es will: Wir sind gut drauf!

Es ist immer noch viel Verkehr auf dem Mittellandkanal. Sogar der Flusskreuzfahrer „Victor Hugo“ aus Straßburg kommt uns entgegen. Außer der Crew ist kein Mensch zu sehen. Für teuer Geld auf dem Mittellandkanal rumfahren macht jetzt ja auch keinen Spaß!

Ungewöhnlich: Gleich drei Segelboote kommen uns heute entgegen. Zwei Hallberg-Rassy 38 aus Orth/Fehmarn und Heiligenhafen und ein Finnsailer aus Marl! Die wollen doch hoffentlich nicht ins Mittelmeer? „Nie wieder durch die Kanäle!“ möchten wir ihnen gern zurufen, aber sie haben es sehr eilig und sind nach einem kurzen Winken schon wieder an uns vorbei.

Auf diesen 50 Mittellandkanal-Kilometern gibt es für uns keinen passenden Yachthafen, aber einen lustigen Spruch an der Spundwand des Yachtclubs Sehnde bei Kilometer 185:

EINE FRAU OHNE MANN IST WIE SISSYPHOS OHNE STEIN

Klar, ohne den Käptn hätte ich ja auch nix besseres zu tun, als bei Sturm und Regen durch Schleusen zu fahren!

Aber dafür darf ich auch bestimmen, wo es hingeht!

Und jetzt geht es erstmal rechts ab in den Stichkanal Salzgitter. Es ist sehr kalt und bereits 18:25 Uhr. Zeit, einen sicheren Schlafplatz anzulaufen!

Nach drei Kilometern sollte der endlich auftauchen, doch wir sehen nur die rote Ampel einer Schleuse vor uns. Und der Yachthafen Heidanger soll doch vor der Schleuse links sein…?

Da meldet unser Plotter, dass wir unser Ziel erreicht haben!

Und tatsächlich: Links befindet sich in der hohen, dicht bewachsenen Uferböschung ein kleines „Schlupfloch“, das man erst sieht, wenn man direkt daneben ist. Es ist die sieben Meter breite Einfahrt zum Yachthafen, der sich öffnet, wenn man unter der fünf Meter hohen Brücke hindurch gefahren ist.

Hinter der schmalen Durchfahrt liegt ein kleines Paradies.

Der Yachthafen wurde in einer ehemaligen Kiesabbaufläche angelegt. Ein kleines Paradies auf einem vier Hektar großen Areal aus Wasserflächen und Grünanlagen. 6000 Büsche und Bäume wurden hier gepflanzt und 80 Liegeplätze geschaffen.

Wir machen längsseits an einem Steg fest, dessen Poller von roten Geranien gekrönt sind. Dann gehe ich zum Restaurant, das sich hinter riesigen Blumenkübeln und Palmen versteckt. Auf der Terrasse sitzt um diese Zeit natürlich kein Mensch mehr, aber drinnen ist das stilvolle Restaurant gut besucht.

Der Restaurantbesitzer ist gleichzeitig Hafenmeister. Er kassiert das Hafengeld, nimmt die Brötchenbestellung auf, zeigt mir die gepflegten Sanitärräume und hilft mir beim Stromkasten.

Vier Nächte wollen wir hier verbringen, denn der Wetterbericht verspricht bis einschließlich Samstag nichts Gutes. Aber besser hätten wir es bei diesen Aussichten nicht treffen können!

Wir liegen inmitten schönster Natur. Nebenan stehen zwei Bienenkästen und ein Stück weiter eine Voliere mit acht Hühnern und einem stolzen Hahn, der uns pünktlich um sechs Uhr weckt, dann aber brav seinen Schnabel hält.

Pro Tag bezahlen wir alles in allem 19 Euro, Wäsche waschen und trocknen kostet insgesamt fünf Euro und das WLAN funktioniert an Bord prächtig.

Morgen soll es aufhören zu regnen. Dann gehen wir im 1,5 km entfernten Bortfeld einkaufen. Theoretisch könnten wir auch mit dem Bus ins elf Kilometer entfernte Braunschweig fahren, aber wir genießen bei diesem Wetter hier lieber noch die Natur und das gastfreundliche Haus der Familie Milius.

Obwohl recht abgelegen, läuft das Restaurant mit der kleinen, feinen Speisekarte offensichtlich sehr gut.

Auf „Zanderfilet vom Grill mit Steinpilzrahm, frischen Nudeln und Salat“ hätte ich heute Abend schon Lust!

Dazu einen Primitivo-Doppio Passo aus dem Salento?

Da kann man so schön träumen, wenn der Bick aus dem Wintergarten auf die Terrasse mit den Palmen schweift. Und der Regen da draußen macht die Sache doch erst recht gemütlich!

Restaurant und Cafe´ „Am Yachthafen“  

 

 

 

 

 

Eine Antwort

    • Ja! Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt! 😁 Liebe Grüße zurück und noch eine schöne Zeit auf dem „Gebirge im Meer“ 🏞️ Christine und Heinz

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