Es ist Mittwoch, der 18. September um 17:30 Uhr. Wir haben zu diesem Zeitpunkt bereits 120 Rheinkilometer auf dem Buckel und ein Ende des Tages ist nicht in Sicht.
Als wir bei Rheinkilometer 780 in die Ruhr abbiegen, rufe ich beim Schleusenwärter der Ruhrschleuse an. Es sagt, wir sollen erstmal am Wartesteiger vor der Schleuse festmachen.
Das Schleusentor ist schon offen und in der Kammer liegt bereits das Frachtschiff „Bohemia„. Nun warten wir noch auf die „Rojana„, die sich um 18:20 Uhr in die Schleuse schiebt. Dann dürfen wir ebenfalls in die 311 m lange Schleusenkammer einfahren.
Beim Schleusen geht es am Schwimmpoller problemlos 8,90 m aufwärts, und um 18:55 Uhr verlassen wir hinter den beiden Frachtschiffen die Schleuse. Noch ein kleines Stück über den Fluss, dem das Ruhrgebiet seinen Namen verdankt, dann sind wir im Rhein-Herne-Kanal. Jetzt müssen wir noch durch die Schleuse Oberhausen.
Gut, dass die „Rojana“ das ebenfalls beabsichtigt. So geht es nämlich nahtlos weiter mit dem Schleusen. Wir legen die Leinen wieder über einen Schwimmpoller und steigen diesmal 4,10 m in die Höhe.
Gleich hinter der Schleuse gibt es am rechten Ufer einen Bootssteg mit mehreren freien Plätzen. Leider hapert es an der nötigen Tiefe! Als wir nach einem Anruf beim „Bootsstegmeister“ um 20:10 Uhr auf den Steg zusteuern, sitzen wir schon im Schlamm fest, bevor ich auf den Fingersteg aussteigen kann.
Doch im „Freirödeln“ haben wir ja heute schon Übung!
Nach ein paar Minuten läuft die Anima mea wieder rückwärts und ein neuer Versuch in einer anderen Box ist endlich erfolgreich. Mit dem letzten Büchsenlicht haben wir heute nach 131 Kilometern inclusive zwei Schleusen endlich Feierabend!
Schnell die Kuchenbude aufgebaut, den Heizlüfter angeworfen und das Abendbrot auf den Tisch gestellt. Morgen schlafen wir uns erstmal aus!
Am nächsten Morgen besucht uns der „Bootsstegmeister“. Er erklärt, warum es hier so verschlammt ist. Es sind die großen Frachtschiffe, die an der Schleuse ständig den Modder aufwirbeln, der sich dann am Uferbereich absetzt. Hier ständig zu baggern wäre viel zu teuer!
Unser Brot geht zur Neige und ich erkundige mich nach Einkaufsmöglichkeiten. Sieht schlecht aus, aber der hilfsbereite „Bootsstegmeister“ bietet an, mich zum nächsten Supermarkt zu fahren. In der Brotabteilung erstehe ich zwei leckere Brote und frische Blaubeermuffins, dann geht es zurück zum Käptn. Für diesen Taxi-Service zahlen wir dann auch gern 15 Euro für die Übernachtung!
Ausschlafen, Einkaufen und Frühstücken haben so lange gedauert, dass wir erst um 11:30 Uhr loskommen. Und zwar ohne stecken zu bleiben! Ein Glückstag wirft seine Schatten voraus! (Meinen wir in unserem „jugendlichen Leichtsinn“.)
Der blaue Himmel ist heute mit weißen Wolken getupft und die goldene Herbstsonne sorgt für angenehme Temperaturen.
Gemütlich fahren wir durch das 2,60 m tiefe Wasser des Rhein-Herne-Kanals. Zwischen km 14 und 15 unterqueren wir die Straßenbrücke nach Bottrop und schicken einen stillen Gruß zu meiner Mutter, die dort auf dem Friedhof begraben ist. Sie liebte den „Ruhrpott„, ihre kleine Mansardenwohnung und die Menschen im Revier, denn die haben das Herz am rechten Fleck und meistern das Leben mit ihrem unvergleichlichen Humor.
Und, was man nicht vermutet, sie haben den einstmals verdreckten Kohlenpott wieder ergrünen lassen und viel Raum für Erholung geschaffen. Auch das Wasser in der Ruhr – einstmals eine Kloake – und in den Kanälen ist heute wieder klar und sauber und dient angeblich sogar als Trinkwasserreservoir für den Notfall.
Es gibt viel zu entdecken und zu bestaunen rechts und links des Kanals, so dass es eine kurzweilige Fahrt bis zur Schleuse Gelsenkirchen wird.
Der Schleusenwärter hat heute wohl seinen großzügigen Tag und lässt uns ganz allein in die 190 m lange Kammer mit den über sechs Meter hohen Wänden.
Auch hier finden wir an der Steuerbordseite einen Schwimmpoller zum Belegen der Leinen. Dann schließt sich das Tor hinter uns und das Wasser strudelt mit Karacho von unten in die Kammer. Wir haben Mühe, Anima mea an der Wand zu halten. Immer wieder versucht der Bug nach links auszubrechen, so stark ist der Wasserdruck auf den langen Kiel. Erinnerungen an die unangenehmen Erlebnisse in den riesigen Rhone-Schleusen werden wach! Aber letztendlich geht alles gut und wir fahren erleichtert weiter zur Schleuse Wanne-Eickel.
Auch hier sind wir mutterseelenallein auf weiter Flur und werden vom Schleusenwärter aufgefordert, in die Kammer zu fahren.
Auf der Suche nach einem Schwimmpoller schleichen wir an der rechten Wand entlang. Da ertönt die Stimme des Schleusenwärters aus dem Lautsprecher: „Achtung! Das Sportboot, bitte nicht so weit nach vorne fahren. Zurück zur ersten Pollerreihe!“
Leichter gesagt als getan mit unserem Langkieler. Wir sind ja bereits an der zweiten Pollerreihe vorbei, der Käptn tut sein Bestes, aber inzwischen schließt sich schon das Tor und wir sind noch immer nicht fest sondern kommen beim Rückwärtsfahren einfach nicht mehr nah genug an die Wand. Also nehmen wir kurzerhand die zweite Pollerreihe. Leider keine Schwimmpoller!
Warum auch immer: Nun gibt der Schleusenwärter ordentlich Gas!
Das Wasser steigt rasend schnell und der Rumpf wird so stark von der Mauer weggedrückt, dass wir die Leine überhaupt nicht mehr dicht holen können. Da hier ja feste Poller sind, müssten wir die Leinen jetzt abnehmen und auf den nächsthöheren Poller legen. Doch die Leinen sind so gespannt, dass wir sie nicht runterziehen können. Entsetzt müssen wir zusehen, wie die Anima mea immer weiter steigt und schließlich die haltenden Leinen vom Poller rutschen.
Dann bricht das Schiff nach links aus!
Wir wirbeln quer durch die Schleuse und schlagen mit dem Buganker gegen die linke Schleusenwand, wodurch das Schiff wieder in die Kammermitte zurückgeschleudert wird. Inzwischen steht der Käptn an der Pinne, gibt Gas und steuert das Schiff zurück an die linke Wand. Glücklicherweise liegen auch an dieser Seite Leinen parat! Ich schnappe sie mir und schaffe es, sie über einen Poller zu legen. Inzwischen hat der Schleusenwärter in seiner Duisburger Zentrale wohl auch mitbekommen, was in der Video-überwachten Kammer abläuft und verlangsamt den Wasserzufluss, so dass sich das Schiff beruhigt.
Dann ertönt aus dem Lautsprecher eine Standpauke!
Wir hören was von „Schleusenführerschein machen“ und kommen uns vor wie die Idioten! Aber immerhin haben wir schon viele Schleusen und sehr unterschiedliche Schleusenwärter erlebt und backen uns ein Ei auf den Anschiss.
Mit weichen Knien fahren wir weiter und haben uns noch nicht von dem Schock erholt als unser Propeller sich plötzlich anhört wie ein alter Fischkutter! Auch die Pinne rappelt ganz fürchterlich!
„Irgendwas ist mit der Schraube!“ meint der Käptn und nimmt das Gas weg.
Die nächste Schleuse – Herne-Ost – ist noch sechs Kilometer entfernt und dazwischen gibt es keine Möglichkeit zum Anlegen. Gott sei Dank sind wir hier momentan allein unterwegs und können wenigstens mit niemandem zusammenstoßen, falls gar nichts mehr geht!
Der Käptn versucht langsam vorwärts zu kommen, indem er ein bisschen Gas gibt, dann wieder die „Gleitfahrt“ im Leerlauf ausnutzt.
Ich rufe bei der Schleuse an und schildere das Problem. Wir sollen versuchen, bis zum Wartesteg zu kommen und dort festmachen. Es wird sowieso mit der Schleusung dauern, weil zurzeit kein Berufsschiff unterwegs und das einzige Sportboot hinter uns noch weit entfernt ist.
Um 16:30 Uhr sind wir am Wartesteg fest. Leider können wir den Propeller nicht begutachten und warten auf das andere Sportboot.
Ich nutze die Wartezeit, um mich telefonisch beim Wassersport-Verein-Herne nach einem Liegeplatz und Hilfe zu erkundigen.
Es dauert, ehe am anderen Ende der Leitung abgenommen wird. Dann schildere ich meinem Gesprächspartner das Schraubenproblem, worauf ich erfahre, dass sich dieser Herr momentan gar nicht im Hafen, sondern irgendwo „im Osten“ aufhält, dass er jedoch gleich Vereinsmitglied bzw. Bootstechniker Kruse informieren wird und wir hinter der sogenannten „Käsestange“ (einem Kunstwerk) direkt hinter der Schleuse rechts rum in den Hafen fahren sollen. Dann erklärt er noch, wo wir anlegen sollen und verabschiedet sich.
Die Käsestange
Es war übrigens der Bürgermeister persönlich, den ich an der Strippe hatte. Er ist ebenfalls Mitglied im WSV-Herne, weilte aber gerade in einer der Partnerstädte von Herne in Osteuropa.
Nun nähert sich das erwartete Sportboot, ein kleiner Katamaran.
Wir bekommen die Anweisung, in die Schleuse zu fahren und an der Backbordseite am zweiten Schwimmpoller festzumachen.
„Danke! Diese Ansage war wenigstens hilfreich.“
Dann liegt der Kat auch schon hinter uns und eine sehr sanfte Schleusung beginnt, für die ich mich hinterher extra bedanke.
„Bitte! Hat ja auch wunderbar geklappt diesmal,“ bekomme ich zur Antwort.
Tja, woran das wohl gelegen hat?
Wir tuckern vorsichtig um die Käsestange herum und werden von einem Motorbootbesitzer am anvisierten Steg eingewiesen. Er und seine Frau sind ganz erstaunt, dass Herr Kruse heute Abend noch extra zu uns kommen will. Doch der kommt tatsächlich wie versprochen und outet sich als der Vereinsvorsitzende.
Im stillen, klaren Hafenwasser kann man jetzt verschwommen erkennen, dass etwas am Propeller ist, was da nicht hingehört.
Herr Kruse schlägt vor, beim AMC Castrop-Rauxel auf der gegenüberliegenden Kanalseite einen Krantermin zu vereinbaren, denn bei den herrschenden Wassertemperaturen zu tauchen sei der Gesundheit nicht zuträglich.
Am nächsten Morgen geht es in Schleichfahrt zum gegenüberliegenden Verein. Herr Kruse steht schon im Blaumann parat und hilft beim Kranen.
Große Erleichterung! Ein dickes, buntes Leinenknäuel hatte sich um die Schraube gewickelt, ohne Schaden anzurichten.
Wir beschließen, nicht mehr zu unserem alten Platz zurückzufahren, sondern die nächste Nacht im AMC Castrop-Rauxel zu verbringen. Beide Vereine haben sehr schöne Sanitäranlagen und fordern ähnliche Hafengebühren: Ein Euro pro Schiffsmeter zuzüglich Strom- und Wasserpauschale. Das Kranen hat übrigens nur 108 Euro gekostet!
Doch von hier aus können wir den 2 1/2 km entfernten Lidl-Supermarkt zu Fuß erreichen und abends im Gasthaus „Yachthafen“ frische Pfifferlinge mit Rahmsoße und Semmelknödeln genießen.
Am nächsten Morgen geht es gut gelaunt weiter.
Der Grund: Sonne, blauer Himmel, angenehm milde Luft, kein Problem mit der Schraube und keine Schleuse in Sicht!
Und wenn doch:
Wir sind jetzt auf dem Scheitelpunkt unserer Kanalstrecke angelangt und müssen bis zur Elbe „nur noch“ talwärts, sozusagen im „Schmusegang“ schleusen.