Tag 18 – 20
Am Freitag-Morgen stehen wir pünktlich um Acht bei Fuß und halten Ausschau nach dem versprochenen Abschleppboot.
Fünf Minuten später kommt es und ist damit ein Zeichen der französischen Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Das mögen wir!
Um 8:10 Uhr geht es durch den Algenteppich hinaus ins klare Wasser. Dann wird der Motor gestartet, ein Zehner wechselt den Besitzer und die Leinen werden gekappt.
Ein paar Minuten später fahren wir am Stadtkai vorbei. Da steht das französische Ehepaar im Radfahrer-Dress auf dem Deck der Paradoxe, winkt uns zu und wünscht uns eine gute Reise.
Dann meldet sich WhatsApp!
Unsere liebe Nachbarin schreibt:
Guten Morgen, habe soeben den neuen Blog gelesen. Viel Glück beim Schleusen in Eigenregie. Ich bin sicher, dass ihr auch das mit Bravour meistern werdet.
Solche Worte machen Mut! Und damit es alle mitkriegen:
„Danke, liebe Ute, für die gute Nachbarschaft. Die ist Gold wert!!!“
Um 9:15 Uhr machen wir am Wartesteg vor der Ecluse Nr 75, Saint-Symphorien fest.
Hier beginnt unsere Fahrt auf dem Canal-du-Rhone-au Rhin.
Dieser 236 km lange Wasserweg mit 112 Schleusen verläuft durch eine ganz besonders abwechslungsreiche Landschaft. Zuerst wird er uns als vollständiger Kanal durch die Saone-Ebene führen. Dann kommt das bewaldete Jura-Gebirge, wo sich der Fluss Doubs zwischen hohen, schroffen Felswänden durchschlängelt und wo uns ein ständiges Wechselspiel zwischen Kanal und kanalisiertem Fluss erwartet.
In Voujeaucourt werden wir den Doubs, der an der Grenze zwischen der Schweiz und Frankreich im Juragebirge entspringt, verlassen und die Täler der Flüsse Allan, Boubeuse und Ill durchfahren, bis wir schließlich Mülhausen (Mulhouse) erreichen. Von dort geht es dann über den Canal de Huningue in den Rhein.
Als die Ampel grün zeigt, fahren wir in die erste Schleuse hinein, wo oben auf der Mauer schon der Schleusenmeister bereitsteht, um die Leinen anzunehmen.
Eine halbe Stunde später haben wir die ersten 3,10 m der Bergfahrt auf dem Kanal geschafft und gehen mit unserer Vignette ins Schleusenwärterhaus.
Der Schleusenwärter spricht ein bisschen Deutsch, aber besser Englisch, überprüft unsere Vignette (falls wir keine hätten, könnten wir sie hier kaufen). Er fragt nach unserem Tiefgang. Laut Flaggenzertifikat beträgt der 1,50 m, doch Anima mea ist ein „schweres Mädchen“ und deshalb gehen wir sicherheitshalber immer von 1,60 m aus.
Der Schleusenwärter runzelt die Stirn und sagt: „Wir haben stellenweise nur noch 1,80 m im Kanal. Und bei der Hitze wird es jeden Tag weniger. Ihr könnt fahren, aber es wird schwierig!“
Ja, wir wollen es wagen! Was bleibt uns auch anderes übrig?
Dann gibt er uns eine Einweisung für das „Schleusen in Eigenregie“.
Die Schleuse Nr. 75 mit dem „futuristischen Empfangsbüro“ (O-Ton unseres Kanalführers).
Unverzichtbar: Unser Kanalführer, gekauft beim Schiffshändler in Lyon. (Auch bei H2O in Saint-Jean-de-Losne gibt es die verschiedenen Kanalführer).
Die Fernbedienung
Bis zur Schleuse Nr.8 (wo ein neues Schleusen-Procedere beginnt) sind wir ab sofort ganz auf uns gestellt.
Die nächste Schleuse – Ecluse Nr. 74, Laperriere – ist nur 300 m von Nr. 75 entfernt.
Das heißt: Nach 100 Metern Fahrt muss ich alle Leinen klariert haben und vorne stehen. Wir sind jetzt 200 m vor der Schleuse, an der die rote Ampel leuchtet.
Ich halte die Fernbedienung hoch in Richtung Schleusenwärterhäuschen und drücke die „On – Off“-Taste.
Sofort erscheint der deutsche Begrüßungstext: „Guten Tag. Ihre Anfrage wurde empfangen.“
Kurz danach muss die Frage, ob man Berg- oder Talfahrer ist, beantwortet werden. Ein passendes Bild unterstützt die richtige Auswahl!
Ich drücke also das Schiffchen, das die Treppe hochsteigt bzw. die 1 und werde gleich darauf gebeten, meine Auswahl mit der OK-Taste zu bestätigen.
Wenn alles ordnungsgemäß abgelaufen ist, blitzt es an der Schleusenampel und gleichzeitig meldet die Fernbedienung: „Ihr Befehl wurde erfasst!“
Dann wechselt die Schleusenampel auf Rot-Grün (Vorbereitung). Danach öffnet sich das Schleusentor und die Ampel springt auf Grün um.
Nun dürfen wir in die Kammer fahren und haben alle Zeit der Welt, um festzumachen und den Schleusenvorgang zu aktivieren.
Unsere Fernbedienung folgt gehorsam meinen Befehlen und wir müssen gar nicht lange vor der Schleuse herumdümpeln, bis das Tor aufgeht.
Hier müssen wir rechts anlegen, denn dort befinden sich zwei „Stangen“.
Die rote Stange wird betätigt, wenn irgendwas schiefläuft und der Schleusenvorgang gestoppt werden soll. Danach muss man die Leiter hochklettern und über das Nottelefon am ehemaligen Schleusenwärterhaus beim VNF Hilfe holen. Ich hoffe, das wird uns nicht passieren!
Neben der roten ist die blaue Stange. Und daneben ist stets eine Leiter, die bei Bergfahrt immer ein Crewmitglied mit einem der beiden Festmacher in der Hand hochklettern muss. Im Mast-Klettern geübt, übernimmt diese Aufgabe der Käptn!
Ich lege derweil die Anima mea mit der anderen Festmacherleine provisorisch an der Leiter fest.
Inzwischen hat der Käptn seine Leine um einen Poller gelegt und wirft mir den Rest herunter. Ich belege die Leine auf einer Klampe und löse die Leine an der Leiter. Der Käptn kommt bereits die Leiter herunter, nimmt mir die zweite Leine ab, klettert wieder hoch und legt die auf einen anderen Poller. Dann kommt auch schon das Ende herunter, ich belege und der Käptn ruft von oben: „Okay?“
Wenn ich „Ja!“ rufe, zieht er oben die blaue Stange hoch und ein lautes Klingelzeichen ertönt.
Nun geht´s los!
Das Wasser beginnt zu rauschen. Die Schleusentore hinter uns schließen sich. Das Schiff steigt in die Höhe. Ich stehe vorne und ziehe die Leine so behutsam nach, dass der Bug weder an die Schleusenwand stößt noch zur anderen Kammerseite abdriftet.
Das Gleiche passiert hinten beim Käptn, der die Achterleine bedient. (Den Motor lassen wir übrigens mitlaufen).
Das Ganze klingt für „Schleusen-Neulinge“ vielleicht etwas schwierig, ist es aber nicht. Nach spätestens drei Schleusen hat man den Bogen raus und das Tolle ist, dass man das Tempo bei der Vorbereitung selbst bestimmen kann.
Es sei denn, man ist ein bisschen „tüdelig“, wie man in Hamburg sagt!
Die Schleuse Nr. 73 ist immerhin 600 m entfernt. Also 400 m Zeit zum Vorbereiten und Durchatmen. Dann ruft der Käptn: „Fernbedienung betätigen!“
„Ja, wo ist sie denn?“ – Ich suche das gesamte Deck ab. Im Cockpit ist sie auch nicht. Durch die Luke gefallen ist sie auch nicht! „Verflixt, die kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben!“ – Ich werde panisch, der Käptn dümpelt mangels Wartesteg genervt im seichten Wasser vor der Schleuse….
Dann entdecke ich sie!
Damit die Sonne nicht auf´s Display brennt, hatte ich sie mit der schwarzen Rückseite nach oben auf das Deck gelegt. Da lag sie nun wie ein gut getarntes Chamäleon!
Bei 32 Grad ein zusätzlicher Schweißausbruch! Das ist nicht angenehm!
Ab Schleuse 72 bekommen wir Gesellschaft.
Es ist ein gemietetes Hausboot mit fünf Personen an Bord. Jedes Crewmitglied der deutschen Reisegruppe hat eine bestimmte Aufgabe. Die junge Frau steigt vor dem Schleusen vom Dach des hohen Bootes aus auf die Mauer und nimmt dort die Festmacher an. Diesen Service lässt sie uns netterweise bis Schleuse 67 in Dole zukommen. Dort muss das Hausboot wieder abgegeben werden.
Beinahe wäre der Service jedoch schon bei Schleuse 70 beendet gewesen!
Während wir mit gebührendem Abstand hinter dem Hausboot warten, bis es in der Kammer ist, merken wir, dass nichts mehr geht! Festgefahren im Modder am Rande der (unbetonnten) Fahrrinne!
Doch das Hausboot wartet, bis wir wieder frei sind. Danke, du starker Oscar!!!
Dann folgen noch 12 Schleusen und zwei Grundberührungen im Doubs bis zum Hafen in Ranchot, wo schon alle Plätze belegt sind.
Weiterfahren können wir heute nicht, denn inzwischen ist es 18:45 Uhr und ab 19:00 Uhr wird nicht mehr geschleust.
Wir legen uns an ein neuseeländisches Motorboot, dessen Eigner gerade nicht an Bord sind. Doch als sie wiederkommen, haben sie nichts gegen uns und wir erfahren, dass sie den neuseeländischen Winter auf ihrem Motorboot in Europa verbringen und im europäischen Winter in ihrer Heimat auf ihrem Katamaran segeln.
Wir sind todmüde und gehen gleich nach dem Abendessen zu Bett. Schleusen schlaucht einfach mehr als Segeln und das Wort „Sport“ in „Wassersport“ bekommt für uns eine ganz neue Bedeutung.
Um den nächsten Tag voll zu nutzen und ein gutes Stück weiterzukommen, legen wir bereits um 7:05 Uhr (Schleusenbeginn ist um 7:00 Uhr) in Ranchot ab.
Auch heute stehen 16 Schleusen und zusätzlich zwei Tunnel auf dem Zettel!
Hinter der Nr. 56, Thoraise, geht es in den 185 m langen Tunnel, der vom dänischen Architekten Jeppe Hein mit einem Wasserfall am Anfang und am Ende und im Innern mit Lichtpunkten in ein Kunstwerk verwandelt wurde. Den Wasserfall kann man per Fernbedienung ausschalten, damit man bei der Einfahrt nicht nass wird.
In der Schleuse Nr. 51, Tarragnoz gab es wegen einer Panne eine Verzögerung. Dadurch holt uns ein dickes Flussboot auf. Drangvolle Enge in der Kammer!!!
Nach Tarragnoz geht es durch einen 394 m langen Tunnel, durch den die Doubs-Schleife um die Stadt Besancon „abgeschnitten“ wird. Leider können wir diese Fluss-Schleife mit unserem Tiefgang nicht befahren. Die Häfen dort und die Besichtigung der befestigten Stadt fallen damit leider aus.
Um 18:50 Uhr haben wir die Doppelschleuse Nr. 46-47, Deluz noch gerade so geschafft und erreichen um 19:10 Uhr den Hafen Deluz, wo wir einen schönen Liegeplatz mit Wasser, Strom, Sanitäreinrichtungen und Waschmaschine finden (zwei Nächte für 25 Euro, Waschmaschine 5 Euro).
Heute sind wir noch „totmüder“ als gestern. Aber wir sind auch stolz, dass wir in unserem „hohen Alter“ noch so fit und belastbar sind. Trotzdem brauchen wir eine kurze Ruhepause und verbringen den Sonntag in Deluz. Natürlich nicht faulenzend!
Zuerst ein Tauchgang zur Schraube, um die sich Wasserpflanzen gewickelt haben. Dann Wasserfilter reinigen, nachtanken, Wäsche waschen, Boot abwischen, denn in der Nacht hat es einen starken Gewitterschauer gegeben und alles ist nass.
Aber jeder Regentropfen ist uns herzlich willkommen!
Direkt vor unserer „Haustür“: Das Liebesspiel der Libellen.