12.07.2019 Learning by doing

Tag 8 bis 11: Am frühen Morgen des 9. Juli verlassen wir das paradiesische Viviers.

Auf der Rhone

Der Himmel ist grau und der Wind bläst mit kühlen vier Beaufort aus Norden. In Böen können es auch mal fünf bis sechs Bft sein, sagt jedenfalls der Wetterbericht. Mangels Mast und damit ohne Windmesser haben wir ja keine Möglichkeit mehr, das zu überprüfen, sehen aber besorgt, dass sich die Baumkronen heftig bewegen.

Doch da für die nächsten beiden Tage wirklich starker Mistral angesagt ist, wagen wir den Absprung, um wieder ein Stück weiterzukommen.

Nach langer Zeit haben wir wieder mal lange Hosen und eine Regenjacke an. Wir sind inzwischen Temperaturen von über 30 °C gewöhnt und frieren schon bei morgendlichen 23 Grad während unsere Enkel zur Zeit bei 17°C in den Ratzeburger See springen. Echt Ostsee-tauglich, die beiden!

Unsere nächste Schleuse heißt „Ecluse Chateauneuf“ und ist nur zwei Kilometer entfernt.

Um 8:10 Uhr rufe ich dort an. Eine Wartezeit von 25 Minuten wird angekündigt.

Eine halbe Stunde später brettert das Kreuzfahrtschiff „Rhone Princess“ heran. Ihr folgen die Neuseeländer und der Katamaran „Lisaud„, auf dem ein englischer Einhandsegler unterwegs ist.

Nachdem die „Rhone Princess“ in der Schleusenkammer verschwunden ist und die grüne Ampel noch immer leuchtet, fahren auch wir hinein. Die anderen beiden Sportboote folgen uns.

Viel Platz bleibt hinter diesen riesigen Fluss-Kreuzfahrern, die weit über 100 m lang sind, nicht mehr und so machen wir zwar nicht direkt, aber doch relativ nah hinter dem Dampfer fest. Hinter uns ist gerade noch Platz für die Neuseeländer, während der Kat an der gegenüberliegenden Wand festmacht.

Das Tor schließt sich, das Wasser strömt ein und die Poller quietschen und ächzen, während ein Regenschauer auf uns niedergeht.

Nach einer halben Stunde sind wir 17,10 m höher geklettert und warten, dass an der Ausfahrt auf „Grün“ geschaltet wird.

Da! Jetzt leuchtet die grüne Ampel auf und die „Rhoneprinzessin“ wirft mit Schmackes ihre Propeller an. Das Schleusenwasser wird zum reißenden Wildbach, der unser Schiff erfasst und gnadenlos von der Schleusenwand wegdrückt. Ein unglaublicher Zug kommt auf die Festmacher, die wir in diesem Moment nicht auf einer Klampe belegt haben, sondern lose in den Händen halten.

Die „Rhone Princess“ verlässt eilig die Schleuse, der Strudel wird schlimmer und schlimmer, unsere Leinen und Arme immer länger, während Anima meas Bug fasst die gegenüberliegende Schleusenwand berührt. Es gelingt dem Käptn, den Motor zu starten, so dass Oscar den Kampf zurück an die Schleusenwand unterstützen kann, was allerdings nur zentimeterweise gelingt.

Ich kann nicht mehr!“ schreie ich dem Käptn zu, der ebenfalls der Verzweiflung nahe ist. „Du musst aber!“ ruft er zurück.

Also mobilisiere ich meine letzten Kräfte, obwohl mir fast die Arme ausreißen. Gerade noch im letzten Moment beruhigt sich das Wasser allmählich und wir können uns Stück für Stück zum Poller zurückkämpfen.

Die anderen haben das Drama natürlich genau beobachtet. Erleichtert nicken sie uns zu und eine der Neuseeländerinnen hebt anerkennend den Daumen.

Nun aber nix wie raus hier! Bedanken tu ich mich beim Schleusenwärter nicht mehr, so erschöpft bin ich.

Die Neuseeländer mit ihrem schnellen Motorboot überholen uns nach der Schleuse. Der Katamaran bleibt hinter uns, ist aber nach der nächsten Flussbiegung nicht mehr zu sehen. Drei Stunden haben wir nun Zeit, unsere Wunden zu lecken. Dann sind wir an der Schleuse „Le-Logis-Neuf„.

Hier steht die Ampel auf Rot.

Ich melde uns an, bekomme aber keine Antwort. Na, jedenfalls weiß der Schleusenmeister, dass wir da sind! Normalerweise sollte nach einer halben Stunde wenigstens Rot-Grün (Schleusung wird vorbereitet) leuchten. Doch nichts dergleichen passiert.

Da nähert sich auch schon der Katamaran. Als er in Hörweite ist, rufe ich ihm zu, dass ich schon vor 40 Minuten angerufen habe. Der Skipper zuckt mit den Schultern und dreht nun gemeinsam mit uns seine Runden.

Der Katamaran

Schließlich sind 55 Minuten vergangen, als es endlich grünes Licht für uns gibt. Wahrscheinlich hatte der Schleusenwärter jetzt endlich sein Mittagsschläfchen beendet!

Mit klopfendem Herzen fahren wir in die Kammer, doch alles läuft ohne Probleme. Um 13:45 Uhr sind wir wieder um 13 m höher gestiegen und machen uns auf den Weg zur Schleuse Beauchastel.

Das dauert fast drei Stunden, in denen wir nun „Seit an Seit“ mit dem Engländer einen Rhone-Kilometer nach dem anderen „fressen“, während uns der Nordwind heftig entgegenbläst.

Um 16:15 Uhr erreichen wir die Schleuse. Ein Schiff wurde gerade von Berg zu Tal geschleust. Jetzt verlässt es die Kammer und bereits 15 Minuten später dürfen wir in die Schleuse hineinfahren.

Wir machen ziemlich weit vorne an der rechten Seite fest, der englische Skipper befestigt seinen „Lisaud“ an der linken Wand weiter hinter uns.

Nachdem sich das Schleusentor geschlossen hat, passiert erst mal gar nichts. Dann ertönt eine Durchsage des Schleusenwärters. Sehr laut, aber leider sehr unverständlich. Ich verstehe nur die Worte „Bateau“ und „gauche„. Also Boot und links. Uns kann er nicht meinen, denn wir liegen ja an der rechten Seite.

Dann wieder nichts. Außer, dass die von den Wänden fallenden Tropfen mit einem überlauten „Plitsch!“ auf der Wasseroberfläche landen.

Nun wird die Durchsage wiederholt. Der Engländer schaut hinauf zur Schleusenwärterkabine und zuckt verständnislos mit den Schultern. Was soll hier nicht stimmen? – Wir warten notgedrungen, was wohl passieren wird.

Dann beginnt es plötzlich in der Schleuse zu arbeiten.

Das Wasser strömt von unten ein. Die Poller rumpeln nach oben. Ein ohrenbetäubendes Quietschen und Ächzen erfüllt die Schleusenkammer. Könnte man in der Elbphilharmonie als avantgardistisches Musikstück aufführen. Thema: „Die Schleuse bebt!“, Erster Satz: „Ab geht die Post!“, denn der Schleusenwärter gibt scheinbar ordentlich Gas auf den 12,65 Metern Hubhöhe.

Schnell kommen wir dem Tageslicht da oben näher, haben gut damit zu tun, die Leinen abwechselnd dicht zu holen, damit unser Schiff schön an der Schleusenwand bleibt. Aber zwei Drittel sind ja schon geschafft und bald hat das Spiel ein Ende!

Denkste! Plötzlich beginnt es in der Schleuse zu wirbeln wie im Wildwasserbach. Was treibt denn bloß der Schleusenwärter? Will er Feierabend machen und drückt jetzt auf die Tube?

Jedenfalls „grüßt uns jetzt das Murmeltier“ und genau der gleiche Alptraum wie in der ersten Schleuse nimmt seinen Lauf!

Unser Schiff macht so wilde Bewegungen, dass es abwechselnd nach links und dann wieder nach rechts ausschlägt. Der Anker knallt an die rechte Wand, dann treibt es wieder auf die andere Seite und liegt fast quer in der Kammer. Im Nachhinein kommen wir zu der Erklärung, dass starke Windböen und Strömungen kurz vor dem Ende der Schleusung dafür verantwortlich waren.

Wieder gelingt es uns, das Inferno zu verhindern. Ich wusste gar nicht, dass ich noch über solche Kräfte verfüge und war erstmals dankbar für die paar Kilo Übergewicht, mit denen ich mich „in die Seile“ hängte!

Aber der Schock sitzt tief, als wir ohne Schaden aus der Schleusenkammer fahren. Soll das jetzt so weitergehen?

Um 18:40 Uhr erreichen wir den Port de Plaisance de L´Eperviere in Valence.

 

Wir bekommen einen Platz neben den Neuseeländern, die bereits seit 14 Uhr hier sind. Den Platz hinter ihnen bekommt „Lizaud„.

Nachdem alle Leinen sauber an Deck liegen und der Logbucheintrag erfolgt ist, schleichen wir bedröppelt zu unseren Bootsnachbarn. „Was haben wir falsch gemacht?“ wollen wir wissen.

Nichts! Das kann passieren.“, sagen sie und erzählen uns von ihren Erlebnissen mit 360° Drehungen in der Schleuse und anderen Schrecklichkeiten.

Der Skipper vom Katamaran Lisaud heißt John.

Er bittet uns zu sich an Bord und öffnet gleich ein kühles Bier für einen Willkommensschluck. Dann erklärt er seine Technik, die er nach vier Rhone-Fahrten für sich entwickelt hat.

Ein Grundprinzip: Nicht mit einer Schlaufe am Poller belegen, sondern beide Leinen als Bucht darüber legen. Dann das Schiff dicht an die Mauer ziehen und die Leinen an Bord belegen. Bei Bedarf immer wieder dicht holen, damit das Boot nicht ins Schwingen kommt.

Denn du kannst das Schiff im Notfall aus eigener Kraft nicht mehr halten!“, fügt John hinzu und nimmt einen herzhaften Schluck aus der Bierdose.

Wir anscheinend schon! Aber darauf können wir in Zukunft gerne verzichten.

Wir sitzen noch eine Zeit lang mit John zusammen. Er kramt seinen Kartenschatz heraus und gibt uns gute Tipps für die Weiterfahrt. Er selbst will zunächst nach Lyon, wo eine gute Freundin an Bord kommt. Ihr Mann war einst Segelkamerad von John und ist schon lange tot. Auch Johns Frau verstarb vor vielen Jahren an einem Herzinfarkt. Seitdem hat er England verlassen und lebt auf seinem Katamaran, der mit ihm in die Jahre gekommen ist.

John war früher als Koch bei der Handelsmarine. Er ist jetzt 73 und bevorzugt das Reisen mit gelegtem Mast auf ruhigen Binnengewässern. Nach England zieht ihn nichts mehr. Schon gar nicht nach der Brexit-Tragödie.

„Die haben den Leuten Lügen erzählt!“, schimpft er und meint damit natürlich die Politiker. Wenn ihn seine Tochter sehen will, muss sie zu Papa an Bord kommen.

Apropos Mast: Am folgenden Tag bekommen wir eine Email:

Wir haben heute Vormittag Ihren Mast und Baum bei Koch abgeliefert. Vielen Dank für Ihren Auftrag und ich wünsche Ihnen eine gute Reise.

Die gute Nachricht des Tages!

Wer auch mal seinen Mast transportieren lassen will:

FASTMAST GERMANY, Rainer Petras, Tel. +49 171 486 1820 bzw. mailto:info@masttransporte.de

Ist eine gute und preiswerte Wahl!

Auch der Port de Plaisance de L´Eperviere in Valence ist eine gute Wahl.

Er liegt etwas außerhalb der Stadt im Grünen mit schönem Blick auf die Umgebung. Für zwei Übernachtungen incl. Strom, Wasser, schönen Sanitäreinrichtungen und Wifi bezahlen wir 40,80 Euro. Es gibt auch eine Tankstelle im Hafen und nach einem kurzen Fußmarsch einen großen Supermarkt.

Hier warten wir ab, bis sich der Mistral ausgeblasen hat und machen uns gemeinsam mit John am Donnerstag, den 11.07. auf den Weg zu den nächsten drei Schleusen:

Ecluse Bourg-les-Valence (Hub 11,70 m), Ecluse Gervans (Hub 10,75 m) und Ecluse Sablons (Hub 14,50 m).

Wir beherzigen die Schleusentipps von John und benutzen noch eine dritte Leine, die an der Backbordklampe befestigt ist. So halten also drei Leinen das Schiff an der Schleusenwand, während ich zusätzlich den Enterhaken in der Leiter neben den Pollern einpieke und Anima mea bei der Stange halte.

 

Alle drei Schleusungen verlaufen problemlos, sogar die in der Schleuse Gervans, wo wir direkt hinter einem großen Handelsschiff festmachen müssen. John freut sich mit uns und ruft: „Professional!“ zu uns herüber. Dann fahren wir gemeinsam zwischen den „Cote du Rhone“-Weinbergen bis zum kostenlosen Anleger in Ampuis, den wir um 20:20 Uhr erreichen.

Hier quaken die Frösche mit den Enten um die Wette. Es gibt weder Wasser noch Strom, dafür aber ein romantisches „Candle-Light-Dinner“ neben dem Schloss.Schloss in Ampuis

Am nächsten Morgen sagen wir John Lebewohl. Er will noch eine Nacht bleiben und einen Ölwechsel  machen bevor er nach Lyon weiterfährt. „Vielleicht treffen wir uns in Port Confluence!“, sagt er und schenkt uns einen Stadtplan von Lyon.

Noch zwei Schleusen – Ecluse de Vaugris, Hub 6,70 m und Ecluse de Pierre Benite, Hub 9,25 m – müssen bewältigt werden, dann erreichen wir am Zusammenfluss von „Mutter“ Saone und „Vater“ Rhone die große Stadt Lyon mit ihrer bunten „Hafencity“, die viel ansprechender erscheint als unsere in Hamburg.Rechts die Rhone, links die Saone

Obwohl wir nicht reserviert haben – wir wussten nicht, dass es eigentlich erforderlich ist – bekommen wir im Port de Plaisier La Confluence einen Liegeplatz für drei Nächte. Auch hier der gleiche günstige Preis wie bisher: 19 Euro die Nacht mit allem Drum und Dran.

Hafencity von Lyon

324 Kilometer Rhone und 13 Schleusen liegen hinter uns. Nicht immer war die Rhone mit ihren Kernkraftwerken und Industrieanlagen eine Augenweide, aber seit Viviers wurde die Landschaft zunehmend schöner mit all den Weinbergen, Burgruinen und Schlössern.Kernkraftwerk

Burgruine in den Weinbergen

Nun schauen wir uns erstmal Lyon an, das den Ruf hat, weltweit die Stadt mit dem besten Essen zu sein. Möglicherweise sorgt das für ein paar Kilo Zusatzballast bei den anstehenden Schleusenmanövern auf der Saone…..

 

4 responses

  1. Herzlichen Dank für die interessanten Berichte und schönen Fotos. Spannend, so eine Fahrt in der Schleuse! Glückwunsch für Ausdauer, Kraft und Mut!

    Liebe Grüße von Ingrid

    • Hallo, liebe Ingrid!
      Herzlich willkommen auf den französischen Binnenwasserstraßen. Ab jetzt kommt die schöne Saone, die allerdings andere Schleusen hat als die Rhone und neue Herausforderungen für uns bringt.
      Vielen Dank für die guten Wünsche, wir können sie gut gebrauchen!
      Liebe Grüße aus Lyon
      Christine und Heinz

  2. Was bin ich wieder froh, „nur“ ein Kapitän der Landstraße zu sein. Viel Glück bei den weiteren Schleusen. Als wir auf der Straße dem ein oder anderen französischen Fluß folgten, sah das Schleusen richtig gemütlich aus: Paddler hoben Ihr Paddel vor eine Lichtschranke und schon ging’s gemütlich weiter. Liebe Grüße

    • Hallo! In die riesigen Rhone Schleusen dürfen Paddler nicht rein. Gemütlich ist es da drinnen auch nicht. Aber demnächst werden die Kammern kleiner und vor allem anders. Mal sehen, was da auf uns zukommt. Aber Hauptsache, wir haben genug Wasser unter dem Kiel, wenn der Kanal durch die Vogesen kommt. Wird noch spannend! Liebe Grüße und gute Fahrt Christine und Heinz

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