08.07.2019 Ein kleines Paradies

Tag 5 – 7: Am Samstag verlassen wir um 8:00 Uhr morgens Avignon und sind genau eine Stunde später an der gleichnamigen Schleuse. Als ich dort anrufe, wird die Ampel umgehend auf Grün geschaltet und wir müssen uns richtig beeilen, die Schwimmwesten anzuziehen und in die Schleusenkammer zu fahren.

Die Schleuse Avignon hat „nur“ eine Hubhöhe von 10,50 m während es in der Schleuse Beaucaire 12,15 m waren. Trotzdem dauert der Schleusenvorgang hier genauso lange wie in Beaucaire. Nach einer halben Stunde sind wir oben und um 9:35 Uhr geht es weiter Richtung Schleuse Caderousse!

Bisher sind wir noch keinem anderen Schiff begegnet. Das Wasser ist glatt und am Ufer spiegeln sich Bäume und Büsche im Wasser. Das Land dahinter wird jetzt hügeliger und hin und wieder taucht auch mal ein Chateau in der Ferne oder sogar eine Burgruine in Ufernähe auf.

Auch heute ist es wieder sehr heiß! Der Fahrtwind bringt überhaupt keine Abkühlung und die Haut fühlt sich an als säße man am lodernden Kaminfeuer, kann aber den Sessel nicht verrücken, um der Hitze auszuweichen. Wir trinken Unmengen von Wasser, mehr als während einer ganzen Woche in Hamburg!

Um 12:00 Uhr erreichen wir die Schleuse Caderousse. Gerade fährt ein Tanker in die Schleusenkammer. Ob der Schleusenwärter nach der Schleusung wohl Mittagspause macht?

Wir beschließen, zunächst am Wartesteg für Sportboote anzulegen und dann anzurufen.

Puuuh! Am Wartesteg ist etwas Schatten! Hier kann man es gut aushalten, falls tatsächlich Mittagspause ist. Jedenfalls melde ich uns jetzt mal beim Schleusenwärter an, bekomme aber keine Antwort. Abwarten und Tee trinken! Nein, lieber doch viel kaltes Wasser und dabei immer mit einem Auge auf die Schleusenampel schielen!

Komisch, dass gar keine Geräusche aus dem Funkgerät kommen. Habe ich auch den richtigen Kanal eingestellt?

Ich schaue im Handbuch nach. Kanal 20 steht dort. Und der ist auch eingestellt.

Jetzt google ich die Schleuse Caderousse auf dem Smartphone. Und was sehe ich? 2009 wurden die Funkkanäle für die Rhone-Schleusen teilweise geändert! Betrifft auch die Schleuse Caderousse (VHF 19!) sowie die Schleusen Bollene (VHF 18), Chateauneuf (VHF 22), Le-Logis-Neuf (VHF 19), Gervans (VHF 19), Sablons (VHF 20), Vaugris (VHF 22) und Pierre-Benite (VHF 19).

Nur bei den Schleusen Beaucaire (VHF 20) und Avignon (VHF 22) stimmen die Angaben im Buch mit der Realität überein. Aber David Edwards-May schreibt ja in seinem Handbuch „Binnengewässer Frankreichs“ vorsorglich: „Autor und Verlag übernehmen für Irrtümer, Fehler oder Weglassungen keinerlei Gewährleistung oder Haftung.“ – Danke, liebes Smartphone! Ohne dich würden wir hier in der Sonne verdorren!

Ich rufe jetzt nochmals an und bekomme auch eine Antwort. Leider unverständlich. Mal sehen, was passiert…..

Da! Um 12:40 Uhr leuchtet das grüne Licht!

Das muss für uns sein, denn sonst ist kein anderes Schiff in Sicht.

Wir ziehen die Schwimmwesten an, werfen die Leinen los und fahren zum Schleusentor. Kurz vor der Ampel springt diese auf rot-grün um!

Was soll das denn? Dürfen wir doch nicht rein?

Der Käptn stoppt ab und will schon wenden, da geht das rote Licht wieder aus und die Durchfahrt ist frei. Kleiner Joke vom Schleusenwärter oder was?

Doch in der dunklen Schleusenkammer ist es ganz still. Kein hämisches Gelächter von oben aus dem Schleusenwärterhaus.

Die Akustik ist unglaublich! Man hört jeden Wassertropfen mit hundertfacher Verstärkung fallen und jedes gesprochene Wort wird zum Schrei.

Wir legen die Festmacher über einen Schwimmpoller, stoppen den Motor und warten ab. Keine Ansage zu den Verhaltensregeln wie in den anderen Schleusen! Haben wir alles richtig gemacht?

Jetzt knackt es „im Gebälk“. Wasser strömt ein und lautlos schiebt sich das Tor hinter uns zu. Das Wasser steigt, die Schwimmpoller bewegen sich knurrend und rumpelnd nach oben und die Anima mea steigt dreißig Minuten lang neun Meter in die Höhe, wo die Sonne unvermindert heiß vom Himmel brennt.

Dann heißt es wieder abwarten, bis die rot-weiße Schranke am Ende der Schleusenkammer hochgeht und das rote Licht durch ein grünes ersetzt wird. Jetzt Motor starten und weiter geht´s!

Es warten bereits zwei Schiffe auf die Schleusung „talwärts“. Eins davon ist ein deutsches Segelschiff mit gelegtem Mast. Eine Frau steht auf dem Deck und ruft zu uns herüber: „Wohin geht die Reise?“ – „Nach Hamburg!“ antwortet der Käptn und ich denke: „Rolling home….!“ und hab schon wieder eine Melodie im Kopf.

Das Segelboot aus Mannheim will ins Mittelmeer!

Nun ist es 13:10 Uhr. Im Handbuch wird als nächster Hafen Saint-Etienne-des-Sorts genannt. 10 Liegeplätze mit Wasser, Strom und Slipanlage in einem ehemaligen Fischerdorf, steht da. Klingt nicht schlecht!

Um 14:30 Uhr erreichen wir das ehemalige Fischerdorf. Sieht hübsch aus und hat auch einen Anlegesteg. Aber der ist vollkommen leer! Stromanschlüsse sind auch nicht erkennbar, doch auf die können wir bei diesen Temperaturen wegen der Kühlbox nicht verzichten! – Schon wieder eine falsche Information im Handbuch? – Beim nächsten Mal müssen Sie einen ausgeben, Mister Edwards-May!!!

Saint-Etienne-des-Sorts

Der nächste Hafen wäre jetzt Viviers. Laut Kilometerangabe im Handbuch ist er noch 35 km entfernt. Das bedeutet mindestens fünf weitere Stunden in brütender Hitze. Na, toll!

Wo wir jetzt schon mal bei der Buchkritik sind: Leider stimmen die Kilometerangaben im Handbuch nicht mit den Kilometer-Angaben an der Rhone überein. Jeden halben Kilometer steht hier ein weißes Schild mit schwarzer Zahl an beiden Ufern.

Dazu der Originaltext im Handbuch: Die Kilometertafeln an der Rhone beziehen sich auf die ursprüngliche Länge des Flusses, gerechnet von einem Punkt, der 0,7 km stromaufwärts der Einmündung der Saone liegt bis nach Port-Saint-Louis. Die nachfolgende Entfernungstabelle gibt die tatsächlichen Distanzen an, die durch die kürzeren Schleusenkanäle (nach dem großen Rhone-Ausbauprogramm von 1933 bis 1980) entstanden sind.

Um das an einem Beispiel zu veranschaulichen:

Im Handbuch steht am Ufer von Saint-Etienne-des-Sorts die Kilometerangabe 196,8. Im „echten Leben“ steht dort jedoch ein Schild mit der Angabe 204. Also ein Unterschied von 11,4 km.

Wer jetzt meint, da muss man einfach immer nur 11,4 km addieren, täuscht sich!

Wenn man z.B. wissen will, wie weit es noch bis zum Hafen Viviers beim Kilometerschild 165 ist (Angabe der Hafenverwaltung auf der Homepage), im Buch aber die Angabe 162 findet, beträgt der Unterschied nämlich nur 3 km auf diesem Streckenabschnitt.

Höhere Mathematik war noch nie mein Ding! Also vertraue ich den Angaben unseres Kartenplotters und der sagt die Ankunft in Viviers für 20:15 Uhr voraus…

Aber nur, wenn wir die nächste Schleuse zügig bewältigen!

Um 16:10 Uhr erreichen wir die Schleuse Bollene. Ich rufe an und eine weibliche Stimme antwortet: Hello, Anima mea, please wait 20 minutes!

Muss ich einen starken Akzent haben, dass sie mich sofort als Nicht-Französin erkannt hat!

Aber mir soll´s recht sein, auf Englisch zu parlieren.

Wir überlegen noch, ob wir an den Wartesteg gehen, da kommt ein gelbes Handelsschiff angedüst. Es ist die Laguepe, registriert in Valetta, die sofort grün bekommt und langsam in die Schleusenkammer manövriert.

Die Laguepe fährt in die Schleuse Bollene.

Die 20 Minuten sind jetzt um und es ist immer noch grün. Heißt das, wir dürfen mit?

Auf meine Anfrage kommt keine Antwort, grün leuchtet weiter. Also Augen zu und durch!

In der riesigen Kammer mit 22 m Hubhöhe würden noch zwei Anima meas hineinpassen. Hintereinander wohlgemerkt. Denn in der Breite füllt die Laguepe die Kammer voll aus und macht während des Schleusens deutliche Schabegeräusche.

Die Laguepe in der Kammer.

Das große Schleusentor schließt sich.

Auch dieses Mal dauert die Schleusung nur 30 Minuten. Mit sicherem Abstand verlassen wir hinter der Laguepe die Schleuse und erhalten noch einen Anruf: Anima mea, please shut your boots in the lock!

Was? Wir sollen unsere Stiefel in der Schleuse schließen? – Oder hat sie vielleicht gemeint, wir sollen unsere Luken schließen? Luke heißt jedoch auf Englisch „hatch“.

„Desole´, je n´ai pas compris!“

Jetzt schimpft sie bestimmt über diese dummen deutschen Segler, die keine Ahnung vom Schleusen haben…. Aber immerhin wird die Landschaft jetzt immer lieblicher und sogar richtig schön, als um 19:40 Uhr die hellen Kalksteinfelsen hinter der Brücke von Donzere in Sicht kommen.

Die Brücke von Donzere

Wir sind jetzt in der Region Auvergne-Rhone-Alpes im französischen Departement Ardeche, benannt nach dem gleichnamigen Fluss, der bei Pont-Saint-Esprit (kurz hinter dem „Fischerdorf“ St-Etienne-des Sorts) in die Rhone mündet.

Kurz vor der Schleuse Chateauneuf geht es links ab zum Hafen von Viviers, wo schon einige der 16 Gastliegeplätze besetzt sind. Ich wähle die Nummer, die im Handbuch angegeben ist und tatsächlich: Um diese späte Stunde geht jemand ans Telefon!

Es sei noch Platz für uns und wir sollen zwischen der grünen und der roten Fahrwassertonne durchfahren, sagt meine Gesprächspartnerin. Dann sehe ich sie auch schon auf einem Schwimmsteg zu uns herüberwinken.

Sie hilft uns beim Festmachen und stellt sich als Hafenmeisterin vom Port de Plaisance Viviers vor, dem am zweitstärksten frequentierten Rhone-Hafen nach Avignon, der auch einen Extraanleger für die Flusskreuzfahrt-Schiffe bereitstellt.

Wir stellen gleich fest: Wir sind in einem kleinen Paradies angekommen!

Am Uferweg wachsen hohe Bäume, in denen die Vögel zwitschern. Dahinter blickt man über ein Maisfeld, hinter dem sich ein Hügel mit dem alten Städtchen Viviers erhebt.

Viviers

Die überaus freundliche Hafenmeisterin kassiert das Hafengeld (für drei Nächte 49,32 Euro einschließlich Kurtaxe), zeigt mir die Toilette und die beiden Duschen (sehr einfach, aber funktionell) und versorgt mich mit einem Stadtplan von Viviers sowie einem bunten Ferienmagazin in deutscher und englischer Sprache, in dem die landschaftlichen und kulturellen Highlights der Gegend beschrieben werden.

Auch unsere französischen Bootsnachbarn sind sehr freundlich und „Bruno“, der wie die anderen auch in den Süden will, begrüßt uns sogar mit Handschlag. Nur die Crew auf dem neuseeländischen Motorboot ganz am Ende des Hafens hält sich zurück und sucht überhaupt keinen Kontakt. Da war Jenny in Griechenland total anders drauf!

Am späten Abend blitzt es in den dunklen Wolken, die sich am Himmel zusammengebraut haben. Wir stellen vorsorglich die Kuchenbude auf und können dann beruhigt zu Bett gehen, denn wir sind hundemüde nach den 72,3 zurückgelegten Flusskilometern inclusive drei Schleusen.

Tatsächlich gibt es in der Nacht ein Gewitter mit kräftigem Regenschauer, der die Luft ein wenig erfrischt.

Am nächsten Morgen laufen wir im Schatten der schönen Platanenallee nach Viviers.

Die fleckige Rinde der Platanen erinnert mich an die Haut eines Tapir-Babys.

Es ist Sonntag und alle Geschäfte sind geschlossen. Es gibt keine Touristenshops und nur wenige Touristen. Eine Stadt wie geschaffen, um einen historischen Film zu drehen!

An den zahlreichen alten Häusern der denkmalgeschützten Altstadt geben kleine Tafeln Auskunft über die Geschichte des Gebäudes. Auf der Suche nach einem schattigen Schlafplatz schleichen die Katzen durch die engen, ansteigenden Gassen. Sonst ist kaum jemand zu sehen.

In der Altstadt

Oben angekommen stehen wir vor dem Portal der Kathedrale Saint-Vincent, Schutzherr der Diözese und der in dieser Region so zahlreichen Winzer. Seit dem 5. Jahrhundert ist Viviers Bischofssitz (auch Papst Julius II war hier von 1477 bis 1478 als Bischof tätig) und noch heute zelebriert ein Bischof in dieser kleinsten Kathedrale Frankreichs die Heilige Messe.

Kathedrale 

Von hier oben hat man einen schönen Ausblick auf die hügelige, grüne Landschaft, auf die Dächer von Viviers, die Platanenallee und das blaue Band der Rhone.

Blick auf die Altstadt von Viviers. Die Platanenallee ist gut zu erkennen. Sie führt direkt zum Hafen.

Wir lieben solche stillen, unberührten Orte und sind froh, diesen hier gefunden zu haben.

Zufrieden wandern wir wieder hinunter und genießen im Restaurant/Creperie „Les Chevaliers“ ein vorzügliches Mittags-Crepe.

Crepe mit karamellisierten Äpfeln, Vanilleeis und Schlagsahne. Göttlich!

Kaum sind wir wieder zurück an Bord, gibt es ein weiteres Gewitter. Doch abends haben sich die Wolken aufgelöst, die Luft ist frisch, fast kühl und wir setzen uns in die beliebte Hafenkneipe „Les Docks“. Dort gibt es Fisch and Chips und Moules frites, sehr gut zubereitet und preiswert obendrein. Dazu ein kühles Bier für den Käptn und einen süffigen Rose´ sowie prima Wifi für mich (Das am nächsten Tag allerdings nicht mehr funktioniert!).

Herz, was begehrst du mehr?

Heute ist Ruhetag auf der Anima mea. Wir lassen sie Seele baumeln und schauen zu, wie sich nach einem sonnigen Start der Himmel immer mehr zuzieht. Die Luft ist schwül und ein paar Regentropfen fallen. Es fühlt sich an wie die Ruhe vor dem Sturm, der sich beim Blick auf den Wetterbericht schon ankündigt.

Ab drei Uhr in der kommenden Nacht soll es Nordwind mit Böen von sechs Bft geben, ab 9:00 Uhr soll der Wind auf 4 Bft zunehmen und Böen von 7 schicken. Um 11 Uhr sind dann Gewitter angekündigt. Den restlichen Tag geht es dann mit Windstärke 3 und Böen von 7 bis 6 weiter.

Sollen wir das riskieren?

Andererseits: Am Mittwoch wird es so richtig heftig: Nordwind 4-5, in Böen 7-8 Bft. Dann haben wir die Strömung und den Wind gegen uns. Das geht dann gar nicht!

Also: Morgen früh müssen wir entscheiden, ob wir hier noch zwei Nächte dranhängen oder den Absprung wagen. Damit das kleine Paradies nicht zur Falle wird.

 

 

 

 

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