Als Gott die Welt verteilte und den italienischen Stiefel in der Hand hielt, haben die Italiener dreimal „Hier!“ geschrien.Das behauptet jedenfalls der Käptn. Und ich glaube, er hat Recht.
Italien ist von der Sohle bis zum Stiefelschaft ein einmalig schönes Ensemble aus Bergen, Buchten, Stränden und Steilküsten. Drumherum das blaue Meer und mittendrin eine Menge grün-blauer Flüsse, Bäche und Seen. Das Ganze garniert mit pittoresken Dörfern und prächtigen Städten. Ein bisschen marode und manchmal auch schmutzig, aber fast immer voller Charme, versprüht von den lebenslustigen, freundlichen und unkomplizierten Bewohner dieses Landes.
Diese Lobeshymne geht mir durch den Kopf, als wir hinter Genua das nördliche Stiefelende erreichen.
Drei Tage zuvor, am Mittwoch, den 22. Mai, haben wir am frühen Morgen La Spezia durch die westliche Ausfahrt des langen Wellenbrechers, der sich als Schutzwall quer durch den Golf zieht, verlassen.
An Steuerbord grüßen die „Portos“ Fezzano und Le Grazie. Fast wären wir statt in La Spezia in Fezzano gelandet. Doch warte ich bis heute noch auf den Rückruf auf meine Liegeplatzanfrage, was sich letztendlich als Glücksfall entpuppte. Wahrscheinlich wäre es dort teurer gewesen und auch unbequemer, die Cinque Terre Tour zu machen.
Dann steuern wir auf Portovenere zu.
Trotz des trüben Wetters leuchten die hohen Häuser an der Wasserkante in ihren bunten Farben um die Wette.
Dahinter bewacht eine graue Felsenkirche auf der schroffen Punta S. Pietro die schmale Durchfahrt zwischen der Insel Palmaria und dem Festland.
Bis hierher war es eine morgendliche Kaffeefahrt, doch dahinter geht es im wahrsten Sinne des Wortes hoch her.
Trotz Windstille rollen mächtige Wellenberge auf uns zu, die Anima mea zu unangenehmen Bocksprüngen veranlassen und uns ordentlich durchschütteln.
Fast die gesamten 31 Seemeilen bis Lavagna geht das so und wir sind froh, als die Ochsentour endlich vorüber ist.
Die große Marina Lavagna liegt weniger als eine Seemeile süd-östlich von Chiavari, wo ich bei der Anfrage nach einem Liegeplatz eine Absage erhielt. Da wir aber nur eine Nacht bleiben wollen und nach dem Festmachen eigentlich nie Lust auf einen Landgang haben, ist das hier eine gute Alternative: Ein sehr geschützter Platz ganz innen im Hafenbecken und nur wenige Schritte zur Müllstation und zum Sanitärgebäude. Alles blitzsauber und gepflegt zum günstigen Preis von 38 Euro pro Nacht. Da können wir es auch verschmerzen, dass das WiFi an Bord nicht funktioniert.
Lavagna Marina Kontrollturm
Am nächsten Morgen liegen gut 25 Meilen bis Genua vor uns. Aber das sind „Genussmeilen“, die durch eine der schönsten Gegenden Italiens führen.
Heute ist es uns auch recht, dass kaum Wind weht und wir unter Motor dicht entlang der Küste tuckern können, um all die bekannten, feinen Seebäder im Golfo Marconi aus der Nähe zu betrachten.
Chiavari ist unter ihnen der unscheinbarste Badeort, hat aber für den Käptn eine ganz besondere Bedeutung, zog es ihn doch vor etwa 50 Jahren mehrmals hierhin, um sich dem Tauchvergnügen mit seinen Clubkameraden hinzugeben.
Im Scheitelpunkt des Golfes folgt Rapallo mit zwei hochpreisigen Marinas und wunderschöner Gebirgskulisse.
Danach kommt Santa Margherita Ligure, wo der Käptn vergeblich nach „seinem“ Campingplatz Ausschau hält. Der ist offensichtlich den eleganten Häusern gewichen, die nun den Hafen umgeben.
Wo die Tunnelbögen sind, war einmal ein Campingplatz.
Den krönenden Abschluss aber bildet Portofino – der „feine Hafen“, von dem es heißt, dass „zwar jeder nach Portofino kommen kann, aber nur wenige bleiben dürfen“ (Zitat aus Küstenhandbuch Italien von Rod Heikell).
Hier treffen sich die Reichen und die Schönen und da wir weder zu den einen noch zu den anderen gehören, bleibt es bei einer kleinen Hafenrunde.
Dann geht es um die „Punta di Portofino“ herum weiter längs der schroffen Steilküste durch das Meeresschutzgebiet von Portofino, dessen gelbe Begrenzungstonnen wir ignorieren dürfen, da wir armen, hässlichen Rentner im Reich der Megayachten auch noch mit einem kleinen Schiff unter 10 Meter unterwegs sind.
Punta di Portofino
Mitten in der grauen Felswand an Steuerbord tut sich irgendwann ein Spalt auf und wir erhaschen einen Blick auf San Fruttuoso.
Fruttuoso
In dieser kleinen Bucht kann man – außer bei Südwind – vor Anker gehen und das Kloster Capodimonte aus der Nähe bewundern. Auch das Kastell Doria steht dort und erinnert an die einflussreiche – Betonung auf „reiche“ – Kaufmannsfamilie Doria aus Genua.
Rod Heikell erwähnt noch eine vier Meter hohe Christusstatue mit der Inschrift „Il Cristo degli Abissi„, die sein Freund beim Tauchen in der Bucht entdeckte und vermutet, dass diese Statue von der Familie Doria, deren Grabstätte sich in dem Kloster befand, unter Wasser aufgestellt wurde.
Es handelt sich aber nicht um die Christusstatue, die den Käptn bei seinen Tauchgängen mit offenen Armen begrüßte! Die steht nämlich auf dem Meeresgrund vor Portofino. Keine Ahnung, welcher reiche Kaufmann aus Portofino auf die Idee gekommen ist, die Dorias zu kopieren….
Eine halbe Stunde später steuern wir auf die schlanken, hohen, erdfarbenen Häuser des alten Fischerhafens Camogli zu.
Sie stammen aus dem 19. Jahrhundert, als Camogli noch eine bedeutende Handelsflotte besaß. Laut Rod Heikell leitet sich der Name der Stadt von „Casa delle Moglie“ ab, „einem Gemeindehaus, in dem die Fischer ihre Frauen unterbrachten, damit sie während ihrer Abwesenheit nicht entführt und missbraucht wurden.“ – „Me too!“ lässt grüßen!
Auch Charles Dickens scheint mal Camogli besucht zu haben. Allerdings muss da das Wetter noch viel schlechter als zu unserer Zeit gewesen sein, denn er bezeichnete Camogli als den „salzigsten, rauesten und seeräuberischsten kleinen Ort weit und breit.“
Aber heute ist das Wetter ja auch gar nicht mehr so schlecht.
Im Logbuch steht jedenfalls:
9:30 Uhr, 1023 Hp, sonnig, NO 1-2 Bft.
16:00 Uhr, 1023 Hp, sonnig, NO 3
Der zweite Eintrag erfolgt nach dem Festmachen im Porto Antico in Genua, wo wir nach 25,6 Seemeilen um 15:30 Uhr festmachen.
Bei der Fahrt durch den größten Hafen von Italien müssen wir mächtig aufpassen: Fähren von und nach Korsika, Sardinen und Tunesien, Kreuzfahrtschiffe, Handelsschiffe, Lotsenboote und Sportboote bevölkern das Hafengelände.
Hinter dem Riesenrad biegen wir rechts ab in den Porto Antico, wo wir unsere Anima mea – klein, aber fein – für zwei Nächte zwischen all den Megayachten für insgesamt 100 Euro parken dürfen. Eine sehr schön ausgestattete Marina mit freundlichem Personal und bestem WiFi an Bord!
Hinter dem Riesenrad geht es rechts ab.
Der berühmteste Sohn dieser Stadt ist Christoph Columbus, der 1451 als Sohn eines Wollwebers in Genua geboren wurde. Hätten damals die Genueser auf diesen mutigen Seefahrer gehört, wären sie wahrscheinlich noch mächtiger und reicher geworden als sie es ohnehin schon waren.
Jedenfalls bezeugen all die prächtigen Bauwerke bis heute, welche Vormachtstellung dieser ehemaligen Seerepublik einst zukam.
Bei einem Stadtbummel bewundern wir vor allem die vielfältig gestalteten Türbogen der Cattedrale San Lorenzo und die schwarz-weißen Säulen im Kirchenschiff.
In der prächtig ausgestalteten Barockkirche Chiesa del Gesu ist gerade Gottesdienst.
An den Wänden der prachtvoll ausgemalten Kirche prangen große Werke alter Meister. Ich bewundere besonders das seidig glänzende Kleid der Dame auf dem Rubensgemälde.
Der alte Rubens lenkt doch damit tatsächlich den Blick des Betrachters eindeutig auf ihren verführerischen Po, statt auf die männliche Hauptperson im Hintergrund! Ein Augenschmaus für die männlichen Gläubigen!
Genua ist aber nicht nur schön. Es ist auch auf sehr angenehme Art quirlig und lebendig, ohne von Touristen übervölkert zu sein.
Auf der Hafenpromenade ist gerade „Äkschen“ angesagt. Ganze Schulklassen und Kindergartengruppen frequentieren die Spielstationen der „Festa dello Sport“ und in der Nähe der Cattedrale San Lorenzo findet gerade eine „Fridays for future„-Kundgebung statt.
Leider schwänzen heute nur relativ wenige Schüler den Unterricht, doch die, die gekommen sind, unterstreichen schreiend und johlend die Forderungen der „Anheizer“, die sich mit Atemmasken vor der beklagten Luftverschmutzung schützen.
Danach sorgt eine Band für Stimmung und wir ziehen weiter.
In der Fußgängerzone reihen sich die kleinen „Fressläden“ aneinander. Es ist gerade „Pranzo„-Zeit und wir müssen nur schauen, wo die meisten Einheimischen Schlange stehen, um das beste Focaccia von Genua zu erstehen.
Unter den Arkadengängen mit Mosaikboden bestaune ich wieder einmal die elegante Mode, nach der sich die gut betuchte Italienerin kleidet. Die Damen hier haben wirklich Stil und legen viel Wert auf eine „Bella figura„! Lackierte Nägel und Stöckelschuhe gehören meist dazu und lediglich die jungen Mädels tragen „gelochte“ Jeans, T-Shirt und klobige Turnschuhe.
Am Hauptbahnhof biegen wir falsch ab und verlaufen uns trotz Google Maps. Plötzlich entdecken wir einen kleinen Friseurladen. Die beiden Parrucchieri stehen gerade vor der Tür. Wir brauchen beide dringend einen Haarschnitt und ich frage spontan, ob sie Zeit für uns hätten.
Sie haben!
Der ältere Meister – er beherrscht sein Handwerk wirklich exzellent – nimmt sich meine Mähne vor. Der jüngere bearbeitet den Käptn. Italienische Friseure kennen keine Sprachbarrieren. Sie unterhalten sich trotzdem. Und ich halte mit, so gut ich kann. Es ist sehr lustig! Und gerade beim Friseur zeigt sich immer wieder, wie locker und entspannt die Menschen hier sind. Und wie wohltuend es auf einen selbst abfärbt!
Die Kunst hat allerdings ihren Preis: 76 Euro zählt der Taschenrechner zusammen!
Doch als 70 Euro auf dem Tresen liegen, sagt der Meister: „Stopp!“ und schenkt mir die sechs Euro mit einem freundlichen Lächeln.
Mit Handschlag und Wegbeschreibung werden wir verabschiedet, finden unseren Weg zurück zum Porto Antico und ein wunderbarer Tag geht zu Ende.
Auch die Kreuzfahrer verlassen wieder Genua. Am farbenprächtigen Riesenrad zucken die Blitzlichter auf den Decks.
Am nächsten Morgen verlassen wir Genua und fahren das letzte Stück vom Stiefel hinauf nach Norden, bis wir bei Porto di Voltri hinter dem Flughafen von Genua sozusagen „um die Ecke biegen“, um von der Levante-Küste zur Ponente zu gelangen.
So sieht es auf dem Plotter aus.
Und so in echt!
Wir sind jetzt auf dem Weg nach Alassio, der mit vielen Marinas „gepflastert“ ist:
Arenzano, Varazze, Savona, Vado Ligure, Finale Ligure und Marina di Loana breiten sich am Fuße der Bergketten aus, die bis dicht ans Wasser reichen.
Um uns herum treiben Tausende von Segelquallen auf dem Wasser. Außer Schnecken will kein Tier diese giftigen Wunderwerke der Natur verspeisen.
Segelquallen (Hydrozoen) sind Nesseltiere. Das dreieckige „Segel“ auf dem tiefblauen „Floß“ aus Chitin hat luftgefüllte Kammern und dient als Windantrieb.
Dann erreichen wir Alassio, dessen Name ich vor etwa 60 Jahren zum ersten Mal von meiner Schulfreundin Marie-Luise hörte. Ihr Vater war ein sehr wohlhabender Landwirt, der es sich Ende der 50iger Jahren schon erlauben konnte, im schwarzen Mercedes mit der fünfköpfigen Familie an die Italienische Riviera zu fahren.
Ich war nicht neidisch, aber von da an war Alassio für mich ein Sehnsuchtsort. Das lag wohl an dem Lächeln, das in Marie-Luises Gesicht gezaubert wurde, wenn sie vor den Ferien sagte: „Wir fahren wieder nach Alassio!“
Nun fahre ich auch nach Alassio. Die Sehnsucht ist gestillt.