Es begann in Korfu an der Tankstelle der Gouvia Marina:
Der Käptn drückt den Stopp-Schalter, doch der Motor geht nicht aus. Gut, dass es noch eine Notlösung für diesen Fall gibt!
Nach dem Tanken drückt er den Startknopf, doch der Motor startet nicht. Auch dafür gibt es eine Notlösung.
Später, während der Fahrt, fängt der Motor plötzlich an zu ruckeln. Der Käptn nimmt schnell das Gas weg und der Motor läuft wieder ruhig weiter. Doch danach werden die Motorstunden nicht mehr gezählt.
Immer häufiger treten diese Probleme auf und wir rufen besorgt Volvo-Penta-Oscar in Torrevieja/Spanien an. Seine Ferndiagnose: Die MDI (Mechanical Diesel Interface) ist kaputt.
Wir sind geschockt! Was das wohl wieder kostet?
„Nichts!“, sagt Oscar, „das Problem ist bei Volvo bekannt. Ihr müsst nur zu einer autorisierten Volvo Werkstatt gehen, dann wird das Teil kostenlos ersetzt.“
Und genau deshalb sind wir nach Marsala gekommen, denn hier gibt es die Werft Polaris Cantiere Nautico mit einer Volvo Vertretung.
Claudio ist der Chef, der jeden Tag mit seinem Motorrad in die Werft kommt und sich darum kümmert, dass der Laden läuft.
Er notiert sich unsere Motornummer und stellt fest, dass wir Anspruch auf Ersatz haben. Leider dauert das eine Weile, denn das kleine schwarze Kästchen muss erst bestellt werden. Da schmerzt die Liegeplatzgebühr von 60 Euro täglich schon sehr. Doch was sollen wir machen?
Am Donnerstag wandern wir nach Marsala und schauen uns die Stadt an. Über dem Meer, dort wo die Egadischen Inseln Favignana, Marettimo und Levanzo liegen, geht ein kräftiger Gewitterschauer nieder.
Die Altstadt von Marsala wird vom Barockstil dominiert. Die Piazza della Repubblica ist der Mittelpunkt der Stadt. Hier erhebt sich auch der prächtige Dom, auf dessen Treppen mehrere Menschen zusammenstehen und den Eindruck erwecken Ausschau zu halten.
Wir betreten den Dom und erkennen, dass sich hier offensichtlich eine Trauergemeinde versammelt hat. Unter der Kanzel steht neben einem Blumengesteck das gerahmte Foto einer relativ jungen Frau.
Dann läuten die Glocken und ein Sarg wird die Treppe hoch durch ein Menschenspalier getragen, während ein letzter Applaus erklingt. Drei Kinder, die gemeinsam ein Blumengebinde tragen, gehen dem Sarg voran. Ob sie ihre Mutter auf ihrem letzten Gang begleiten?
Wir wollen nicht stören und verlassen den Dom. Unten, auf der Piazza füllt gerade ein junges, festlich gekleidetes Paar unter den Sonnenschirmen Gläser mit Sekt, um mit seinen Gästen auf ein freudiges Ereignis anzustoßen. So nah liegen Freud und Leid beieinander!
Piazza Repubblica
Am Freitag kommen unsere Bootsnachbarn aus dem Urlaub zurück.
Auf der kleinen Etap 28i stehen Vater, Mutter, Tochter und Sohn. Sie fangen gleich an, mit uns zu plaudern und laden uns schließlich für den nächsten Abend zum Essen ein. So was haben wir noch nie erlebt und sind sehr gespannt, was da auf uns zukommt!
Am Samstag enden endlich die Gewitter, doch jetzt kommt starker Wind auf. Leider aus Norden, wo wir hinmüssen.
Nachdem der Volvo-Monteur am Samstagmorgen um 8:00 Uhr auf der Matte steht, ist das MDI schnell ausgetauscht. Anschließend gehen wir zum nächsten Autovermieter und mieten für drei Tage einen kleinen Fiat.
Besuch von Volvo
Der erste Ausflug geht in die antike Stadt Selinunte. Sie liegt 52 km südöstlich von Marsala auf einem Plateau hoch über dem Meer.
Der Apollo-Tempel in Selinunte
Es ist ein riesiges Gelände, auf dem zwischen den Trümmern zwei wieder aufgerichtete Tempel an die einst durch Weizenhandel reich gewordene Stadt erinnern. Leider hat ein Feuer einen Teil der Olivenbäume und Zwergpalmen auf dem Gelände vernichtet. Schwarz und verkohlt ragen ihre Reste aus dem steinigen Boden.
Um halb sieben am Abend sind wir wieder in der Marina. Wir haben gerade noch Zeit, uns ein wenig frisch zu machen, da kommt auch schon Gaspare, um uns zum Abendessen abzuholen.
Wir folgen ihm mit unserem Mietwagen zu seinem Haus in Marsala. Dort erwarten uns Marina und die Kinder Constanza und Pepe. Das Haus ist über 100 Jahre alt und gehörte den Eltern von Marina.
Zum Haus gehört ein großer Garten mit Orangen- und Zitronenbäumen, über den man übers Meer bis hinüber nach Trapani blicken kann.
Gaspare zeigt uns stolz das Haus, in das die Familie viel Geld und Arbeit gesteckt hat. Die Räume verteilen sich über das Erdgeschoss und zwei Stockwerke. Ganz oben endet die Treppe auf einer luftigen Dachterrasse.
Marina hat den Tisch im Esszimmer mit einer weißen Tischdecke und feinem Geschirr für zehn Personen gedeckt.
Im Salon warten wir bei Wein und Parmesan auf die restlichen Gäste dieses Abends. Nach und nach trudeln sie ein: Eine Freundin der Familie, die Schwestern von Gaspare und seine Mutter.
Um kurz vor zehn kommt das Essen auf den Tisch: Selbstgemachte Nudeln mit Gemüse von der einen Schwester, Seehecht mit Kartoffeln aus dem Backofen und zum Abschluss Melone mit Minze, Limonensaft und einem Hauch von Zimt von Marina. Dazu ein trockener Marsalawein, der diese Stadt in aller Welt berühmt gemacht hat.
Nach dem Essen setzen wir uns auf die Terrasse. Wir erfahren, dass Marina als Lehrerin an einer Schule für Wirtschaft und Technik unterrichtet, dass Constanza im September an eine Marineschule nach Venedig geht, um dort das Abitur zu machen und dass Gaspare beim Finanzamt arbeitet. Alle lachen, als er das verrät, worauf er verlegen lächelt. Die „Nonna“ – eine ganz reizende, zierliche Dame – folgt der überwiegend auf Englisch verlaufenden Konversation still und interessiert. Der 11jährige Pepe verzieht sich nach dem Abendessen lieber auf sein Zimmer, doch Constanza übersetzt eifrig, wenn den Eltern die englischen Vokabeln ausgehen.
Gegen Mitternacht geht dieser zwanglose Abend zu Ende. Er bestätigt, was wir schon immer gesagt haben: Die Italiener sind die aufgeschlossensten und lockersten Mittelmeer-Anrainer!
Am Sonntag machen wir eine Autotour ins Valle dei Templi. Das liegt auf einem Hügel unterhalb der modernen Stadt Agrigent, deren Bewohner auf diese antike Stadt hinunterschauen und sie deshalb Tal der Tempel genannt haben.
Der schnellste Weg dorthin führt an der Küste entlang. Wir kommen durch Mazara del Vallo mit seinem großen Fischereihafen, in dem mächtige Trawler in der Werft an Land stehen und eine riesige Fischereiflotte im Hafen liegt. Was die so jeden Tag aus dem Meer ziehen? Es müssen Tonnen von Fisch sein!
Dann geht es über Castelvetrano nach Sciacca und weiter nach Porto Empedocle.
Links und rechts der Straße erstrecken sich Weingärten und Gemüsefelder, auf denen gelbe und grüne Melonen zwischen ihrem welkenden Blattwerk in der Sonne leuchten. Leider ist der Straßenrand mit Müllsäcken gepflastert, die teilweise von streunenden Tieren aufgerissen wurden. Parkplätze kann man hier gar nicht anfahren! Sie gleichen Müllhalden und stinken zum Himmel! Und nach unseren ersten Erfahrungen in Porto Empedocle wundert es uns gar nicht, dass die Müllberge mit jedem Kilometer zunehmen, den wir uns diesem Ort nähern.
Die Orte, durch die wir kommen, wirken ärmlich und trostlos. Viele Häuser stehen leer und oft hängt das Schild „Vende“ an der Wand. Die modernen Wohnblocks erinnern an die Plattenbauten in der Ex-DDR, nur, dass dort nicht so viel Wäsche zum Trocknen an den Leinen hing!
Es ist eine SCHANDE, was hier der Natur zugemutet wird. Warum schmeißen die Menschen hier ihren Unrat einfach in die Gegend? Selbst, wenn ganz Sizilien zum Aufräumen hier anrückte: Der Müll ist so flächendeckend verteilt, dass Müllsammeln zu einer Sisyphos-Arbeit ausarten würde.
Im Valle die Templi ist dann wieder die (Um)-Welt in Ordnung!
Auf dem gepflegten Gelände stehen Mandel- und Olivenbäume zwischen den beeindruckenden Tempeln der griechischen Gottheiten Herakles, Juno und Zeus. Dazwischen finden sich Werke des belgischen Künstlers Jan Fabre. Das beeindruckendste Werk steht neben dem Concordia-Tempel.
Concordia-Tempel mit Ikarus
Auf fünf großen Bildschirmen präsentiert Fabre die „Sybille“.
Diese Prophetin, die in der Antike in Ekstase das Orakel beschwor, wird in dieser Performance von fünf Frauen dargestellt, die polyphon und beschwörend immer wieder die gleichen Lautfolgen artikulieren und zuletzt schweißnass und klagend den Satz
SCHANDE ÜBERS GANZE ERDENREICH!
ausstoßen. Auf Deutsch wohlgemerkt! Was leider nicht jeder versteht. Doch es wird so verzweifelt und leidenschaftlich dargeboten, dass viele Besucher länger vor den Bildschirmen verweilen.
Der Satz wurde übrigens Cassandras Monolog in „Orestea“, der tragischen Trilogie von Aeschylus, übernommen und zeigt, dass sich die Probleme der Menschheit wiederholen, weil wir aus den Fehlern unserer Vorfahren nicht lernen. Die Erde hatte wohl schon immer Grund, sich über mangelnden Respekt der Menschen zu beklagen! Und sei es „nur“, wenn sie als Müllhalde missbraucht wird…
Der Rückweg durch die schöne Hügellandschaft von Westsizilien zieht sich wegen der kurvenreichen Strecke und der grottenschlechten Straßen so sehr in die Länge, dass wir Marsala erst bei tiefster Dunkelheit erreichen.
Am Montag schlafen wir erstmal aus und brechen dann zu unserem letzten Landausflug auf.
Es geht in Richtung Trapani und dann nach Erice.
Zuerst kommen wir an den Salinen vorbei. Hier wird in großen Meerwasser-Becken noch immer das „weiße Gold“ gewonnen und pur oder mit Rosmarin, Zitronen- und Orangenschale aromatisiert verkauft.
Saline, dahinter der Berg, auf dem Erice liegt
Dann quälen wir uns durch den mörderischen Verkehr in Trapani und suchen den „Ausweg“ nach Erice. Das mittelalterliche Städtchen schwebt auf 700 m Höhe über dem Meer und bietet bereits bei der Anfahrt eine unglaubliche Aussicht auf Trapani und die Egadischen Inseln.
sowie auf die Punta del Saracano und das im Nordwesten anschließende Capo San Vito.
Kein Wunder, dass hier bereits die aus Kleinasien eingewanderten Elymer und Punier die Liebesgöttin Astarte verehrten und anschließend die Römer ein Venusheiligtum erbauten.
Das stand dort, wo heute das Normannenkastell steht. Und an der Südfassade der königlichen Kirche – erbaut von König Friedrich von Aragon im Jahre 1314 – wurden neun Steinkreuze aus dem Venustempel eingesetzt. Schon in der Antike waren sie im mittleren Osten Symbole des Lebens!
Der Käptn geht schon mal in die Kirche, während ich die 108 Stufen des Wachturms hinaufsteige. Er wurde wahrscheinlich schon während der Punischen Kriege genutzt und im 13. Jahrhundert von Friedrich von Aragon wiederaufgebaut.
Aus 28 m Höhe hat man hier oben wirklich einen guten Überblick über das Land, das Meer und die grauen Steinhäuser von Erice.
In der Kirche beeindruckt uns besonders die kunstvoll gearbeitete Decke, die nach ihrem Einsturz im Jahre 1853 und dann nochmals im Jahre 1857 rekonstruiert wurde.
Links vom Altar fällt der Blick auf die Gottesmutter mit dem Kind. Sanft lächelnd gibt sie ihm die linke Brust. Ein Bild, dass Innigkeit und Liebe ausstrahlt. In einer Felsenkirche in Matera haben wir zuletzt so eine seltene Darstellung der Heiligen Maria gesehen.
Es ist eine Kopie der „Madonna Custonaci“ von Michele Corteggiani (1892), dessen Original in einem Kloster in der Nähe von Erice aufbewahrt wird. Dieses Original wird nur bei „besonderen Anlässen“ vom Kloster nach Erice gebracht, wie eine Gedenktafel an der Kirchenwand verrät. Pestepidemien oder Kriege waren in der Vergangenheit solche „Anlässe“.
In der St. Martins Kirche entdecken wir dann ein ähnliches Bild. Es trägt den Titel „Unsere gnadenreiche Mutter“ und wurde 1567 von L. Zichichi gemalt.
Trotz der Ähnlichkeit gibt es bemerkenswerte Unterschiede:
Das Jesuskind ist offensichtlich gesättigt und dreht sich von der Mutter weg, die den Betrachter freundlich anschaut und ihm ihre Brust mit der „göttlichen Nahrung“ präsentiert.
Der Käptn würde gerne noch länger durch die alten Gemäuer von Erice streifen, doch ich möchte unbedingt noch zum Capo San Vito, wo sich das Naturreservat Zingaro befindet.
In Tonnara del Secco endet die schmale, gewundene Straße mit großartigen Ausblicken über den Golfo del Cofano und den Golfo di Castellammare.
Tonnara del Secco
Wir müssen den gleichen Weg zurück, doch bei den Ausblicken ist das ein Vergnügen!
Dann treten wir den Rückweg durch die wunderschöne Hügellandschaft an. In regelmäßigen Reihen gepflanzt erzeugen die Rebstöcke in den rechteckigen Weinfeldern geometrische Muster, an denen man sich nicht sattsehen kann. Unsere Hoffnung, zum Abschluss den Tempel von Segesta zu sehen wird durch einen Viehtrieb und die schlechten Straßen mit tiefen Schlaglöchern und gefährlichen Bodenwellen zunichte gemacht.
Ein sizilianischer Bauer und sein afrikanischer Gehilfe treiben die Herde aus Kühen und Ziegen vor uns her.
Immerhin: Mit dem letzten Büchsenlicht erreichen wir den Porto Marsala.
Am nächsten Morgen geben wir den kleinen Fiat wohlbehalten beim Autovermieter ab. Gleich danach bezahlen wir unser Liegegeld bei Claudio, der uns „großzügig“ 20 Euro Rabatt auf den Gesamtpreis gewährt.
Nach vier Stunden machen wir am Schwimmsteg des Boat Service Trapani fest. Mit dem Auto hätte die Fahrt keine Stunde gedauert.
Aber wir hatten ja auch wieder mal Wind und Strom von vorne!
Danke für den lehrreichen Bericht mit den schönen Fotos! Das 1. Marienbild habe ich in dieser wunderschönen Darstellung noch nicht gesehen. (Ich besuche auf Reisen immer Kirchen).
Eure Reiseberichte finde ich sehr interessant, ich konnte schon viel Neues lernen. 😀
Liebe Grüße von Ingrid
Diese Art der Mariendarstellung ist wohl auch selten. Wir gehen ja auch in alle Kirchen, aber bisher haben wir die stillende Maria nur zweimal gesehen. Ist vielleicht auch nicht immer im Sinne der hohen Geistlichkeit, wenn sie ihre Brust zeigt.😉
Liebe Grüße vom Nordwestzipfel Siziliens