Der Wetterbericht meldet für die nächsten Tage nur leichte Winde, so dass wir wie geplant am Sonntagmorgen, den 03. September Poros verlassen.
Nach zwölf Seemeilen haben wir die Südspitze von Aegina erreicht. Heute steuern wir entlang der Ostküste der Insel nach Norden.
An dieser Seite präsentiert sich die Insel wesentlich grüner als im trockenen Süden und mit ihrer bizarren Steilküste auch interessanter als im Westen.
In der Steilwand blühen wunderschöne „Felsrosen“.
Nahe der Nordost-Huk erreichen wir die weite Bucht Agia Marinas. Ich schaue durchs Fernglas und entdecke über den Häusern, die sich vom Strand den Hang hinaufziehen, den Tempel der Zeustochter Aphaia. Er wurde dort auf einer Anhöhe 500 v. Chr. errichtet und weist eine seltene architektonische Besonderheit auf. Um das Dach zu stützen, wurde auf die erste eine zweite Säulenreihe gestellt, die bis heute sogar von hier unten deutlich zu erkennen ist.
Über der Bucht Agia Marinas schwebt der Aphaiatempel auf Aegina
Dort hinauf sind also Göran Schild und seine Frau Mona „wie zwei Heilige Könige auf Purpurkissen sitzend“ auf Eselsrücken geritten, um unter der Führung der schlauen Tiere den Weg über Stock und Stein durch den Wald hinauf zum Tempel zu finden. Abgesehen von zwei, drei ärmlichen Häusern war die wunderschöne, mit Pinien bestandene Bucht unbewohnt und Daphne, das hölzerne Segelboot des studierten Kunsthistorikers, schaukelte inmitten von Vogelgezwitscher vor Anker, wo heute Kreuzfahrtschiffe anhalten, um ihren Passagieren Gelegenheit zu einem Tempelbesuch zu geben.
Göran Schild, Im Kielwasser des Odysseus, Zweite Auflage, erschienen bei F.A. Brockhaus Wiesbaden 1955
Dieses Buch mit grünem Leineneinband und goldenen Lettern erstand ich voriges Jahr über Amazon bei einem Antiquariat als Geschenk für den Käptn. Göran Schild, der auch Ästhetik und Psychologie studierte und als Journalist beim Svenska Dagbladet in Stockholm arbeitete, schildert darin seine Segelreise durch das Mittelmeer. Gemeinsam mit seiner Frau Mona startete er 1948 vom hohen Norden in Richtung Frankreich auf einer ähnlichen Route wie wir. In seinem Buch schildert er die Reise von Rapallo/Italien durch die Straße von Messina nach Ithaka über Patras und den Kanal von Korinth in den Saronischen Golf, wo er eben auch die Insel Aegina besuchte. Das war im Jahre 1950, als ich als neugeborenes Baby in der Wiege statt in den Wellen schaukelte und Segeltouristik im Mittelmeer noch kein Thema war.
Irgendwann, als ich mal nichts zu navigieren, zu putzen, kochen, besorgen und zu schreiben hatte, nahm ich das Buch aus dem Regal und schmökere seitdem mit größtem Vergnügen darin. Einerseits, weil ich merke, dass reisende Segler damals wie heute offensichtlich gleich ticken und andererseits, weil Schild – in der Ausdrucksweise der fünfziger Jahre – sehr lebendig, humorvoll und gleichzeitig überaus lehrreich erzählt.
Wir verschieben unseren Besuch des Tempels auf einen anderen Tag. Heute haben wir ja eine Verabredung mit dem Werftchef und steuern im Nordosten vorsichtig um das Kap Ak Tourlos mit den gefährlichen Unterwasserfelsen herum.
Mit der Kamera herangezoomt: Die graue Felsnadel am Ak Tourlos
Nun fahren wir an der Nordküste entlang nach Westen und halten Ausschau nach dem „Schlafplatz“ der Yachten, die hier in den drei dicht nebeneinanderliegenden Werften Asprakis Bootswerft, Kanonis Boatyard und Planaco Boatyard den griechischen Winter an Land verbringen.
Da ist ja auch schon der blaugelbe Travel-Lift von Kanonis! Aber außer ein paar Mooringtonnen gibt es keine Möglichkeit, irgendwo festzumachen.
Also schnappen wir uns eine Mooringtonne und legen die Anima mea mitten im glasklaren Wasser fest, damit sie vom Wasser aus ihr neues Zuhause begucken kann.
Obwohl Herr Kanonis am Telefon sagte, dass wir auch am Sonntag kommen können, ist an Land keine Menschenseele zu sehen. Na ja, es ist ja gerade Mittagszeit und die Werftleute machen vielleicht Pause. Deshalb springen wir erstmal ins kühle Nass, denn es ist trotz September heute wieder schrecklich heiß.
Irgendwann bewegt sich der Travel-Lift und zwei Männer erscheinen an dem Becken, in das auch wir demnächst hineinfahren werden, wenn unser Schiff aus dem Wasser gehoben wird. Doch keiner scheint Notiz von uns zu nehmen.
Wir warten eine Weile, dann lassen wir das Schlauchboot zu Wasser und rudern an Land. Erst, als ich: „Mister Kanonis?“ rufe, antwortet der eine der beiden Männer mit: „Yes?“
In diesem Moment kommt ein Motorboot aus Richtung Festland herangefahren und steuert das Becken an. Herr Kanonis bittet um ein paar Minuten Zeit, dann sollen wir zu ihm auf das Werftgelände kommen.
Als wir uns gegenüberstehen, wirkt der Werftinhaber etwas angespannt. Wir sagen, dass wir auf dem Weg in die Zea Marina nur mal bei ihm vorbeischauen wollten, um uns persönlich kennenzulernen. Da lächelt er endlich, zeigt uns das sehr schön ausgestattete Sanitärgebäude (mit Waschmaschine!) und verrät uns die Abfahrtszeiten der Schnellfähre nach Piräus sowie die anschließende Busverbindung zum Flughafen Athen.
Wir klären ab, ob wir auch etwas früher in die Werft kommen könnten, dann verabschieden wir uns und dürfen die Nacht noch an der Boje bleiben. „Bei ruhigem Wetter kein Problem!“ meint Herr Kanonis.
Es ist schon dunkel und wir sitzen nach dem Abendessen gemütlich im Cockpit, da bläst ein leiser Windhauch übers Wasser, das hier durch den starken Schiffsverkehr ständig in Bewegung ist. In kürzester Zeit wird aus dem Windhauch ein Wind, der sich ab Mitternacht zu einem Starkwind entwickelt. Und wir liegen völlig ungeschützt an dieser Boje, tanzen auf und ab wie das wildgewordene Rumpelstilzchen und kriegen kaum ein Auge zu.
Im Vorschiff ist es überhaupt nicht auszuhalten. Aber ich schlafe ohnehin im Salon, weil wir so jeder eine bequemere „Schlafstatt“ haben. Nachdem der Käptn immer wieder den Niedergang hochgeklettert ist und nach der Festmacherleine geschaut hat, legt er sich auf die zweite, schmale Salonbank. Jetzt ist für mich der Zeitpunkt gekommen, ihm „reinen Wein“ einzuschenken: Ich will nicht weiter auf den Spuren der Daphne zu den Kykladen und nach Kreta fahren sondern durch den Korinth-Kanal zurück nach Italien. Weg aus „Meltemi-Land“, dorthin, wo es wieder sichere Häfen für uns gibt.
Ich erwarte schon einen Aufschrei, zumindest Protest, doch der Käptn scheint den gleichen Gedanken in seinem Kopf bewegt zu haben. Der Ehefrieden ist gerettet und – wieder mal ungewaschen und ungekämmt sowie ohne Frühstück – setzen wir an der Boje das Segel und ergreifen um 7:30 Uhr die Flucht. Aus lauter Dankbarkeit für das Verständnis meines Mannes gebe ich die Pinne bis Piräus nicht aus der Hand. So kann er ein bisschen dösen, damit er beim Hafenmanöver einigermaßen konzentriert ist.
Nach langer Zeit schalte ich das Funkgerät wieder ein. Über Kanal 09 kündige ich in der Zea Marina unsere Ankunft an. Ein Tender mit zwei jungen Mariners kommt uns entgegen und lotst uns ganz tief ins Hafenbecken. Dort übergeben sie uns die Mooringleine, helfen beim Festmachen und fahren mich zum Marinaoffice.
Die Anmeldung erfolgt schnell und unkompliziert. Zea gehört zu „D-Marin“ www.d-marin.com, einer Gesellschaft, die auch die Gouvia-Marina auf Korfu betreibt. Dort haben wir einklariert, als wir nach Griechenland kamen und sind seitdem im Computer gespeichert.
Ich bezahle die Hafengebühr, bekomme einen Adapter für den Stromanschluss und die „Eintrittskarte“ für das Eingangstor. Die Karte ist mit einem frei gewählten Geldbetrag aufgeladen, denn Strom und Wasser müssen extra bezahlt werden. Man schiebt die Karte in die Strom- und Wassersäule auf dem Steg, dann fließen Strom und Wasser wie im gelobten Land die Milch und der Honig. Auch zum Sanitärgebäude mit der edlen Einrichtung gewährt die Karte den Zutritt. Es gibt leider kein freies WLAN, also kaufe ich für 30 Tage zum Preis von 30 Euro Internet, das oft leider sehr lahm ist und auch gerne im falschen Moment den Geist aufgibt. Aber bisher hat der Käptn noch jeden Tag den Spiegel online lesen können und ich habe mit einigen Schwierigkeiten zwei Heimflüge für den 17. Oktober gebucht.
Um uns herum tobt das Leben! Menschen strömen an der Hafenkante entlang, Autos und die schrecklich lauten griechischen Motorräder brausen vorbei. Mehrstöckige Wohnhäuser mit sicher sehr teuren Wohnungen umringen das Hafenrund der Zea Marina. Aber der nächste „Einkaufstempel“ ist mit seinem Überangebot an Waren zu günstigen Preisen nur wenige Schritte entfernt, und auch der Bus nach Athen stoppt ganz in der Nähe.
Der Hafen, Heimat für Yachten aller Größen und Preisklassen sowie der kleinen, schmucken Fischerboote ist ausgebucht und bietet allen Komfort, aber vor allem Schutz.
Zea Marina
Wir haben die ersten beiden Tage fast nur geschlafen und tasten uns jetzt langsam wieder an den Alltag in einer Großstadt heran. Wir schauen nicht mehr auf das Barometer und laden keinen Wetterbericht herunter. Wir lümmeln sorglos im Cockpit herum und leben in den Tag hinein.
Friedrich der Große nannte seinen Rückzugsort „Sanssouci„. Das Schloss in Potsdam mit den Weinbergterrassen und dem schönen Park machte in „sorglos“.
Auch ein lauter Platz in einem Hafen in Piräus kann ein kleines „Sanssouci“ sein!