Am Mittwoch machen wir nach dem Frühstück das Schlauchboot klar und schippern zur Hafenmauer. Eine riesige Schildkröte sitzt dort auf einem der Treppchen, an denen man mit dem Beiboot festmachen und an Land gehen kann. Sie verströmt einen unglaublichen Gestank, denn sie ist tot. Der Panzer hat ein großes Loch, das den Blick auf die inneren Organe freigibt. Wahrscheinlich ist das arme Tier auf seinem Weg an den Laichplatz in eine Schiffsschraube geraten.
Wir suchen uns ein anderes Treppchen zum Anlanden und machen ein paar Besorgungen. Dann besuchen wir unser Stammcafe mit Wifi. Doch heute können wir nicht lange bleiben. Der Wind geht an und das Wasser gerät in Bewegung.
An der Mauer zappelt Rudi Koster schon aufgeregt rauf und runter, als wollte er sagen: „Wo bleibt ihr denn bloß?“ Die Rücktour zur Anima mea wird die reinste Spritztour und das Übersteigen aus dem Schlauchboot auf die Badeleiter eine kippelige Angelegenheit.
Kaum haben wir unsere Einkäufe verstaut, den Außenbordmotor abgebaut und das Schlauchboot an Deck gelegt, bedeckt sich der Himmel mit grauen Wolken. Ein paar dicke Tropfen klatschen theatralisch auf´s warme, ausgetrocknete Teakdeck, das sie gleich gierig aufsaugt. Vor zwei Wochen in der Odysseas Marina auf Meganision hat es die letzte Süßwasserdusche bekommen. Entsprechend ist das ganze Schiff staubig und salzverkrustet. Doch die grauen Wolken werden vom unangenehm warmen Wind weggeblasen und geben nichts mehr her von ihrer feuchten Last.
Das Abendessen kann ich noch auf unserem kleinen Gasgrill im Cockpit zubereiten. In einer großen Pfanne schmore ich Paprikastreifen mit roten Zwiebeln, Knoblauch, frischem Rosmarin, Salz, Pfeffer und Tomatenstückchen. Dann schiebe ich das Gemüse an den Pfannenrand und lege dicke Halloumischeiben in die Mitte. Ein bisschen griechisches Olivenöl dazu, dann werden sie auf beiden Seiten hellbraun gebraten. Dazu gibt es griechisches Bauernbrot. Lecker!
Kaum geht im Westen hinter den Hügeln des „Rückrats“ zwischen Ithaka-Nord und Ithaka-Süd die Sonne unter, steigen bedrohliche Wolkenungeheuer in den Abendhimmel. Sie erinnern uns daran, dass wohl der Wetterbericht Recht behalten soll. Einerseits freut es uns, dass man sich auf die Vorhersage verlassen kann, andererseits grummelt es bei der Aussicht auf ein nächtliches Gewitter ein wenig in der gut gefüllten Magengrube.
Das bedeutet nichts Gutes!
Um vier Uhr morgens weckt uns Donnergrollen in der Ferne. Durch die Luke im Vorschiff zuckt der helle Schein von Blitzen. Wir dösen weiter, bis ein krachender Donner um 7:30 Uhr die Morgenstille zerreißt. Wir sind sofort hellwach und beobachten durch die Salonfenster das Blitzlichtgewitter rundum. Immer schneller folgen den Blitzen die Donnerschläge. Das Unheil kommt näher!
Dann öffnet der Himmel seine Schleusen. Ein heftiger Schauer ergießt sich über die Insel, den Hafen und unser staubiges Schiff. Er spült die Salzkruste herunter und füllt die aufgestellten Schüsseln und Eimer. Nach 20 Minuten löst Wind den Regen ab.
Aus den Böen von fünf, dann sechs Beaufort wird bald ein Dauerzustand und unser Windmesser beginnt zu piepen. Windstärke sieben!
Zur Veranschaulichung, was bei diesen Windstärken zu Wasser und zu Lande abläuft, hier ein Auszug aus „Das Wetter in Bildern, Wettervorhersage nach Wolkenfotos“ von Alan Watts:
Windstärke 5 (Frische Brise): Mäßige Wellen, die eine ausgeprägtere längere Form annehmen; zahlreiche weiße Schaumkronen bilden sich. Vereinzelt etwas Gischt.
Kleine belaubte Bäume beginnen sich zu neigen, auf Binnenseen bilden sich Schaumköpfe. Windgeschwindigkeit 8,0-10,7 m/s
Windstärke 6 (Starker Wind): Lange Wellen beginnen sich zu bilden; die weißen Schaumkronen breiten sich überallhin aus. Etwas Gischt. 10,8-13,8 m/s
Große Äste bewegen sich; man hört Pfeifen in Telegrafendrähten. Schirme sind nur unter Schwierigkeiten zu benutzen.
Windstärke 7 (Steifer Wind): Seegang türmt sich auf, und weißer Schaum von Brechern beginnt sich in Richtung des Windes zu legen. 13,9-17,1 m/s
Ganze Bäume sind in Bewegung; fühlbare Hemmung beim Gehen gegen den Wind.
Das Wasser schaukelt sich kontinuierlich hoch. In einem Prospekt der Insel habe ich gelesen: „Ithakas Hauptort ist Vathi (3000 Einwohner), dessen Hafen der sicherste in Griechenland ist„. Hoffentlich kein PR-Gag!
Wir sind jetzt jedenfalls vom Land abgeschnitten und haben alle Zeit der Welt, unseren Anker zu beobachten und das „Hafenkino“ zu bestaunen. Eine Yacht nach der anderen sucht jetzt nämlich Schutz hier in Vathi. Der Ankerplatz in diesem Naturhafen füllt sich mit italienischen, englischen, amerikanischen und vereinzelt auch mit deutschen Yachten. Neben uns legt sich eine kleine finnische Yacht vor Anker. Wir hoffen, sie wird uns nicht zu nahekommen!
Die Finnen schaukeln neben uns im bewegten Hafenwasser
Eine Flottille belegt die Hafenmauer direkt hinter uns. Diese Charteryachten, die eine Segelgemeinschaft bilden und zusammen eine mehr oder weniger festgelegte Route segeln, legen dort gerade rückwärts an. An Land steht der „leitende“ Skipper der Flottille und gibt lautstark Anweisungen, wo und wann der Buganker ins Wasser fallen muss. Dann fährt das Schiff rückwärts an die Mauer, während die Ankerkette von der Winsch rauscht. An Land greifen helfende Hände nach den Festmacherleinen am Heck und belegen sie an den Ringen in der Mauer. Nicht immer gelingt das Manöver. Es gehört einige Erfahrung dazu, richtig abzuschätzen, ob die Kette bis zur Mauer reicht. Wenn nicht, muss sie wieder eingeholt werden und ein neuer Versuch beginnt. Heute ist dieses „römisch-katholische“ Anlegemanöver mit Buganker noch schwieriger, weil der Wind die Boote direkt auf die Mauer schiebt. Laute „Stopp, stopp, stopp“- Schreie verraten uns, dass die Skipper-Nerven an Bord der einparkenden Yacht gerade blank liegen, während die mehrköpfige Crew auf dem Boot herumwirbelt.
Derweil bläst und bläst der Wind. Er treibt einzelne weiße Cumulus-Wolken über den strahlend blauen Himmel und formt sie zu bizarren Figuren.
„Das kleine Gespenst“ schwebt über Vathi und beobachtet neugierig das Treiben im Hafen.
Dann taucht am Himmel ein schneeweißes „Blätterteigtörtchen“ auf. Es löst in mir die Frage aus: „Was gibt es heute zum Abendbrot?“
Ein „Blätterteigtörtchen“ folgt dem „Kleinen Gespenst“.
Der Wind und der Seegang machen es unmöglich, auf dem Gasgrill zu kochen. Gut, dass es sich nach dem Gewitter abgekühlt hat. Da kann ich den Topf auf dem Herd in der Pantry festklemmen und gefahrlos eine schmackhafte Tomatensoße für die letzten „Fileja“- Nudeln aus Crotone kochen. Der Gemüserest vom Vortag gibt der Soße den letzten Pfiff. Aber die Krönung des Ganzen ist der Parmesan aus Italien, der eingeschweißt im unteren Behälter der Kühlbox auf seinen Auftritt wartete.
Italienische Küche schmeckt auch in Griechenland
Getreu dem Spruch: Der Wind kommt einen Tag, bleibt einen Tag und geht einen Tag bläst es auch in der Nacht zu Freitag im gleichen Stil weiter. Das Wasser schaukelt sich so sehr auf, dass wir es im Vorschiff nicht aushalten. Erinnerungen an die schreckliche Ankernacht auf Elba werden wach.
Vorboten einer wilden Nacht: Glutwolken über dem „Neritos“, auf dem das Kloster Kathara mit dem wundertätigen Marienbild im Feuer steht.
Der Käptn kontrolliert immer wieder den Anker, ich stelle das Geklapper im Schiffsinnern ab. Dann legen wir uns auf die Salonkojen und schlafen irgendwann in dieser stürmischen Nacht ein.
Als wir morgens aus dem Fenster schauen, ist die finnische Yacht schon verschwunden. Aber der Wind hat sich noch nicht gelegt. Dazu braucht es noch einen Tag. Wenn die Regel stimmt!