22.07.2017 – Im Land der Götter

Am Sonntag kehren wir nach dem Abendessen in der Taverne „Pascha“ noch auf einen Uso in der benachbarten Bar „Pristina“ ein. Hier sitzen wir auf der luftigen Terrasse und beobachten die dunklen Wolkenformationen, die vom Festland herüberquellen. Die freundliche Wirtin hat uns schon erzählt, dass dort bereits heftige Regenschauer niedergehen. Und genau so sagen es auch unsere Gribs vorher!

Hier in Vathi auf der Insel Meganision soll es allerdings auch Regen geben, doch die kleine Kellnerin erklärt: „Nein, es wird nicht regnen. Ich bin von Levkada und kenne mich aus. Das Wasser muss schwarz werden, dann regnet es bald. Es ist aber noch zu hell. Vielleicht ein paar Tropfen. Mehr nicht.“

Obwohl es drückend heiß im Schiff ist, haben wir beim Weggehen vorsorglich die Luken geschlossen. So trinken wir in Ruhe unseren Uso aus und machen uns dann auf den Weg zum Schiff.

Kaum sind wir da, beginnt es zu krachen und zu blitzen. Der dunkle Himmel öffnet seine Schleusen. Um 21 Uhr prasseln Hagelkörner wie ein Trommelfeuer auf das Deck und unseren Cockpitschirm. Hoffentlich überlebt er das! Zehn Minuten später verwandelt sich der Hagelschauer in Starkregen. Nach weiteren 15 Minuten stoppt der Regen, es blitzt und donnert weiter und die Luft ist deutlich abgekühlt. Ein süßer Duft von Oleanderblüten erfüllt die Luft. Die Natur atmet auf!

Durch den dunklen Hafen irrt ein Segelboot, doch schon eilt der Marinero herbei. Kurz vor 22 Uhr hört es endgültig auf zu regnen, aber in der Ferne über dem Festland zucken weiterhin die Blitze, gefolgt von Donnergrollen. Um 22 Uhr kreist die Motoryacht „MIA RAMA“ durch den Hafen und wird von einem Marinero im Schlauchboot an die Mooring dirigiert. Wie auch vorher das Segelboot ist sie wahrscheinlich von ihrem Ankerplatz geflüchtet. Zehn Minuten später bauen wir unseren Cockpitschirm ab. Er ist noch immer pitschenass, hat aber keinen Schaden genommen. Kaum haben wir das geschafft, geht der Wind an, es regnet wieder und die Luft wird ganz kühl.

Wir sind froh, dass wir frühzeitig den Platz in der Odysseas Marina reserviert hatten und nun ruhig schlafen können. Am nächsten Morgen zeigt unser Comfortmeter fast Idealzustand: 24° C und 82% Luftfeuchtigkeit. Der Himmel ist noch immer stark bewölkt, und es regnet noch ein paar Tropfen. Aber um 12 Uhr mittags lichten sich die Wolken und die Sonne kommt durch. Der Spuk ist vorbei.

Am Dienstag bezahle ich die Hafengebühr und die Strom- und Wasserkosten im Marinabüro. Für vier Tage sind das 158,72 Euro für den Liegeplatz, sechs Euro Pauschale für 100 Liter Wasser und 6,60 Euro für Strom. Für Griechenland ganz schön teuer, aber wir sind froh, dass wir hier ganz entspannt das Unwetter abwarten konnten. Und wieder freue ich mich, ein kleines Schiff zu haben. Meine Vorgänger am Tresen müssen weit über 500 Euro bezahlen, was sie mit einigen flappsigen Bemerkungen hinter sich bringen. Auch „Reiche“ bezahlen wohl ungern!

Uns reicht unser kleines Schiff und wir haben sogar Spaß daran, mit wenig auszukommen. Einzig der Strom macht uns manchmal Sorgen. Unsere Kühlbox frisst uns die Haare vom Kopf. Da muss demnächst unbedingt etwas verbessert werden. Aber vorerst bleibt uns auf dem Ankerplatz nichts weiter übrig, als hin und wieder den Motor anzuwerfen. Die Solarzellen und unser „Pustefix“ schaffen es nämlich nicht allein, die Batterien zu laden.

Der nächste Ankerplatz liegt auf der Insel Kalamos östlich von Meganision nahe am Festland. Am Ak Kamilavka und am Ak Mythika erheben sich die imposanten ausgewaschenen braunen Bergrücken bis zu 1575 m hoch. Sie sind eine beeindruckende Kulisse für die Stadt Mytika und das bergige, mit grünen Pinienhainen bedeckte Kalamos, das wie ein riesiger gestrandeter Wal vor der Küste liegt.

Die Festlandküste bei Mythika

Von Mythika aus verkehren Fähren nach Kalamos und die kleinere Nachbarinsel Kastos. Nur diese beiden Inseln in Festlandnähe sind bewohnt. Auf der südlich von ihnen liegenden Inselgruppe der Echinaden grasen angeblich nur Schafe und Ziegen, drum herum gibt es viele Fischzuchtanstalten, die mit ihrem Kot und den Futterresten das Meer und die Küste belasten.

Mit dieser beeindruckenden Aussicht an Backbord steuern wir um das Nordende von Kalamos zur Ostseite der Insel. Bald erscheint auch schon der Hafen Kalamos, wo um diese Zeit kaum Schiffe liegen. Ankern ist bei diesem Wetter und in dieser Landschaft auch viel schöner und so fahren wir weiter in Richtung Süden nach Port Leone. Dieser Naturhafen ist nur nach Osten hin offen und bietet perfekten Schutz bei den vorherrschenden Winden.

Wir sind nicht die ersten hier, aber es gibt noch genug Platz in der ersten Einbuchtung vor dem hellen Strand. Unser Anker fällt dicht am Ufer unterhalb eines steil aufragenden Hügels, direkt neben der Schotterpiste, die vom Hafen Kalamos hierherführt. Denn hier, versteckt hinter der nächsten Huk, befand sich einmal ein kleines Dorf. Bei dem schweren Erdbeben 1953, das fast alle Nordionischen Inseln verwüstete, wurde es so stark beschädigt, dass die überlebenden Bewohner es verließen. Nur die Kirche, die man schon von weitem bei der Einsteuerung in die Bucht erkennen kann, wurde wiederaufgebaut.

Der Anker fällt im glasklaren Wasser. Er wühlt sich zwischen Seegras und Schlick ein und ist trotz der Tiefe deutlich zu erkennen. Wir haben das Gefühl, in einem Aquarium zu schwimmen, so durchsichtig ist das Wasser mit den vielen Fischen, die gleich neugierig den Rumpf der Anima mea ansteuern.

Am Abend hören wir nur noch das Zirpen der Zikaden in den knorrigen, alten Olivenbäumen und in dem steilen Abhang über uns lotst eine schwarze Ziege ihr Junges meckernd von Felsvorsprung zu Felsvorsprung.

In der stockdunklen Nacht erscheint ein Stern nach dem anderen, bis der ganze Himmel glitzert. Als ich in meiner Koje liege, zieht eine Sternschnuppe mit strahlendem Schweif von links nach rechts über die Luke hinweg und erlischt, als mir gerade noch rechtzeitig der Name einer kleinen Person einfällt, die heute ihr erstes Zeugnis erhalten hat. Mehr darf ja nicht verraten werden, sonst geht der Sternschnuppen-Wunsch nicht in Erfüllung!

Am nächsten Morgen rudern wir mit „Rudi Koster“ an den Sandstrand. Dann suchen wir uns einen Weg durch die Oliventerrassen. Ein kleiner Schock: Auch hier ist ziemlich viel Müll an Land gespült worden.

Blick auf die Ankerbucht  Hafen Leon. Das kleine Schiff ganz hinten dicht an Land ist die Anima mea.

Dann erreichen wir die Schotterpiste und sehen die ersten Ruinen des Dorfes. Auch die alte Friedhofmauer unterhalb der Kirche hat dicke Risse. Die einzige erkennbare Grabstelle ist verwaist.

In der Ruine steht noch die alte Olivenölpresse.

Doch nun scheint neues Leben einzukehren. Es gibt einen fertiggestellten Neubau am Ufer und zwei neue Stege. Ein weiteres Haus ist im Rohbau und von der Kirche her ertönt das Rattern eines Kompressors.

Neubau unterhalb der Kirche

Die Kirchentüren stehen offen. Die Altarwand mit den Ikonen, den Leuchtern und dem Altar glänzt im dunklen Innenraum, während zwei Handwerker am Haupteingang eine neue Empore und einen Treppenaufgang bauen. Sie sind so versunken in ihre Arbeit, dass sie uns überhaupt nicht bemerken.

Die Altarwand

Wer will fleißige Handwerker sehn, der muss in die Kirche gehn…

Um die Mittagszeit lechzen unsere Batterien nach Strom. Also verlassen wir die schöne Bucht und tuckern langsam hinüber zur kleineren Insel Kastos.

Um Ladezeit zu schinden, fahren wir im großen Bogen um die nördlich vorgelagerte Miniinsel „Nisis Provato“ herum. Dann haben wir auch schon die Ostküste von Kastos an Steuerbord. Obwohl wir nur schlappe 4,2 Seemeilen geschafft haben, fällt der Anker bereits im Nordosten der Insel. Wir können diesem Traum aus blauem und türkisgrünem Wasser vor weiß- und ockerfarben geschichteten Kliffs einfach nicht widerstehen. Da muss der Motor leider noch eine Weile die Ankerruhe stören, bis die Batterien endlich wieder genug Saft getankt haben.

Traumhafter Ankerplatz auf Kastos

Am nächsten Morgen verabschieden wir uns von Kastos. Wir haben Wind! Können also zur Abwechslung auch mal segeln. Aber der Motor muss trotzdem im Leerlauf mitlaufen, damit Wurst und Butter in der Kühlbox nicht schlecht werden und der Weißwein gekühlt auf den Tisch kommt.

So geht es an der Ostküste von Kastos am kleinen Hafen vorbei weiter nach Süden. Die weißen Häuser mit den roten Dächern des Dorfes leuchten zwischen den grünen Büschen und Olivenbäumen. Eine Windmühle steht am Ufer, eine weitere am Hang hinter dem Dorf.

Vor uns erscheint schon die nächste Insel. Ich würde sie „Zipfelmützen Insel“ nennen, aber sie heißt schon „Atokos“ und hat die beliebte „Ankerbucht mit einem Haus„, in der sich auch jetzt schon – es ist gerade mal 10:45 Uhr – die Ankerlieger drängeln.

Atokos

Wie an vielen Orten, hat das Meer auch hier Grotten und Höhlen aus dem Kalkstein herausgewaschen. Im Lande der Götter leben an solchen Orten auch gerne mal Nymphen oder Meeresgötter. Was sich hinter dem Höhleneingang hier verbirgt, werden wir wohl nie erfahren. Und ob das Boot davor fette Beute des Höhlenbewohners oder lediglich ein mutiger Bootstourist ist, wohl auch nicht. Wir haben keine Zeit, es näher zu erkunden, denn wir sind gerade auf dem Weg ins sagenhafte Ithaka.

Parkplatz vor der Höhlentür

Um die Mittagsstunde erreichen wir die Heimat des Odysseus.

Zuerst steuern wir in den Ormos Phrikon an der Nord-Ost-Küste von Ithaka. Wir müssen wirklich bis zu seinem Ende fahren, um die Häuser des Dorfes Phrikes zu erkennen, die sich im Schutz der steilen Hänge hinter dem Hafen verstecken. Die Archäologen identifizierten es als das Reithron in Homers Odyssee. Einen passenden Ankerplatz finden wir hier nicht.

Also fahren wir in die nächste Bucht. Die Einsteuerung in den Ormos Kioni erfolgt vor der Huk Ak Psigadi, auf der sich die drei Ruinen von Windmühlen nebeneinander aufgestellt haben. Sie sehen aus wie Wachtürme und man wundert sich, wieso gleich drei nebeneinanderstehen, bis man die richtige Erklärung in Rod Heikells „Griechische Küsten“ entdeckt.

Kioni ist ein hübsches Dorf, aber man riecht es schon, ehe man Land betreten hat: Der Ort ist bei Touristen angesagt.

Viele Boote strömen in den Hafen und auch an der Steilküste davor reiht sich wie auf einem Parkplatz eine ankernde Yacht neben der anderen auf. Damit sie trotz der Enge beim Schwoien nicht aneinanderstoßen, haben die Skipper das Heck mit einer langen Landleine am Ufer festgelegt.

Kioni

Bei diesem Anblick bekommen wir bereits Platzangst und wenden vor dem Hafen.

Nun versuchen wir unser Glück im Kolpos Aetou. Diese tiefe Bucht endet an der schmalen Landenge, die die beiden Hälften der Insel Ithaka wie ein Rückrat verbindet. Darauf befindet sich der Berg Aetos mit den kärglichen Überresten eines Tempels oder Schreins aus der Odysseus-Sage.

Von hier unten ist davon natürlich überhaupt nichts zu erkennen. Wir wissen es lediglich aus unserem Küstenhandbuch. Und mittlerweile wird es auch Zeit, an etwas anderes zu denken als an Odysseus. Denn bald müssten die berühmt, berüchtigten Fallböen von den Bergen rauschen. Also brauchen wir schnell einen guten Ankerplatz.

Während der Kolpos Aetou an seiner Nordseite steil und felsig ohne wesentliche Einbuchtungen verläuft, findet sich am gegenüberliegenden Ufer eine tiefe Bucht, die nach dem entsprechenden Kap (griech. Ak) Schoinos-Bucht heißt. In diese Bucht laufen wir ein und fahren bis zu ihrem Ende durch. Dort befindet sich eine abgesperrte Badestelle, doch links daneben sieht es gut aus, obwohl schon einige Boote vor Anker liegen.

Doch nach zwei Ankerversuchen geben wir genervt auf. Wahrscheinlich haben wir hier Felsgrund erwischt und der Anker kann sich nicht eingraben.

Wir fahren ein Stück zurück, wo ebenfalls schon einige Plätze vergeben sind. Hier lässt der Käptn dicht unter dem Ufer den Anker fallen und gibt das Kommando: „Rückwärts!“

Ich beginne, den Anker im Rückwärtsgang einzufahren. Plötzlich rappelt die Pinne wie verrückt, ein klirrendes Geräusch kommt aus der Tiefe und neben mir springt Rudi Koster die Bordwand hoch. Sofort nehme ich den Gang raus und Rudi Koster stürzt wieder ins Wasser.

Dann sehen wir die Bescherung!

Die Schleppleine des Schlauchboots ist in die Schraube geraten, hat sich um die Welle gewickelt und ist dann mit einem „klirrenden Geräusch“ samt Schnappverschluss abgerissen. Dabei ist auch die Schlaufe, durch die die Leine gezogen war, durchtrennt worden.

Aber viel schlimmer ist, dass sich der Rest der Leine um die Welle gewickelt hat und in mehreren Tauchgängen vom Käptn durchgesäbelt werden muss. Trotz Mittelmeertemperaturen kühlt er dabei so stark aus, dass er immer wieder Sonnenbäder zum Aufwärmen braucht.

Am Abend sind wir beide ganz fertig: Der Käptn vom Tauchen und Säbeln und ich vom Schock. Hoffentlich ist nichts an der Welle! Der Propeller jedenfalls ist heil geblieben.

Dann kommt auch noch Wind von der falschen Seite auf! Wir liegen auf Legerwall. Es ist aber schon dunkel und wir hoffen, dass unser Anker hält. Auch auf den Nachbarschiffen scheint man ob der unglücklichen Wendung etwas unruhig zu werden.

Doch wie immer schläft auch in dieser Nacht der Wind ein und das Schiff liegt morgens unverändert an seinem Platz. Die kleine Wespe, die pausenlos unseren Wasserhahn anfliegt, um zu trinken, wird nicht mit der Fliegenklatsche bestraft. Es könnte ja eine verwandelte Nymphe oder gar eine Göttin sein. Mit der wollen wir es uns nicht verderben, hier im Lande der Götter, wo wir mal wieder mit einem blauen Auge davongekommen sind.

 

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