Was wäre ein italienisches Auto ohne Hupe?
Es wäre schlichtweg unbrauchbar, denn die Hupe ist der wichtigste Ausrüstungsgegenstand im ganzen Auto!
Der italienische Autofahrer hupt anscheinend bei jeder Gelegenheit: Vor der Kurve, vor der engen Tordurchfahrt im Centro Storico, wenn er Bekannte auf der Straße sieht, wenn der Vordermann zu langsam fährt und wenn Fußgänger außerhalb der Ortschaft am Straßenrand entlang laufen.
Letzteres gilt für uns, als wir heute morgen von unserer Marina in Vibo Valentia nach Pizzo wandern. Wir müssen unbedingt mal wieder ein paar Kalorien abbauen, doch leider gibt es keinen Wanderweg entlang der Küste. Schon bald werden die fünf Kilometer bis ins benachbarte mittelalterliche Städtchen Pizzo zum lebensgefährlichen Spießrutenlauf.
Blick über die Dächer von Pizza nach Vibo Valentia
Unter dem Motto: „Links gehen, Gefahr sehen“ verlassen wir Vibo Valentia. Ein Strom von großen und kleinen Fahrzeugen brettert auf der schmalen Straße an uns vorbei. Vor uneinsehbaren Linkskurven wechseln wir auf die rechte Straßenseite. Sobald die Fahrbahn wieder in die andere Richtung geht, springen wir zurück auf die linke Seite. Kommt ein besonders rasanter Fahrer auf uns zu, pressen wir uns so dicht wie möglich an die Büsche am Straßenrand, ziehen den Bauch ein und zucken zusammen, wenn wieder mal die strafende Hupe ertönt.
Dabei könnten die fünf Kilometer bis Pizzo so schön sein!
In der Ferne: Pizzo auf dem Felsen
Mit Blick auf das langsam näherkommende Städtchen auf dem Felsvorsprung schauen wir links auf das tiefblaue Meer hinunter. Es blüht in allen Farben, gelbe Schmetterlinge gaukeln von Blüte zu Blüte und in den kurzen Pausen ohne Verkehrslärm hört man das Zwitschern der Vögel in den Bäumen.
Nach einer Stunde sind wir endlich am Ziel. Wir stehen am Kastell und schauen auf die Piazza della Repubblica, wo rundum die Cafes und Gelaterien mit Pizzos Spezialität werben: TARTUFO!
Piazza della Repubblica
Der kleine Ort mit den engen Gassen und blumengeschmückten Häusern ist überhaupt das reinste Schlemmerparadies: Die scharfe Peperoni und viele andere Gewürze wie Origano, Zimt, Nelken, Muskatnuss, wilder Fenchel und Minze geben den Fischgerichten und diversen Wurstwaren eine besondere Note. Auch die in Olivenöl eingelegten Thunfischfilets sollen hier zu einem Glas „Zibibbo„, dem Weißwein aus lokalen Trauben, sehr delikat schmecken.
Ab 12.:30 Uhr wird in den vielen Lokalen geschlemmt. Jetzt machen viele Geschäfte die Läden dicht und die Mittagspause dauert bis mindestens 15:30 Uhr. Auch die Tabakläden, in denen man die Busfahrkarten kauft, schließen ihre Pforten. Also wird es nichts mit der Busfahrt zurück nach Vibo Valentia. Aber es gibt ja noch die Eisenbahn, deren Bahnstation sich – man höre und staune – ca. zwei Kilometer außerhalb von Pizzo in Richtung Vibo Valentia befindet.
Nach einem ausgiebigen Stadtbummel gibt es für uns nichts weiter zu tun, als endlich ein Tartufo zu probieren. Denn, so steht es auf einer Infotafel: Pizzo zu verlassen, ohne diese hier erfundene Süßspeise in einem der 20 Eiscafes gegessen zu haben, gleicht einer Todsünde!
In der Gelateria Ercole studieren wir die Eiskarte und entscheiden uns für ein Tartufo Bianco und ein Riccio di Mare. Warum das dunkle Tartufo mit dem Pistazienkern etwas mit „Mare“ zu tun hat, bleibt unklar. Klar ist jedenfalls: Das Zeug schmeckt einfach köstlich!!!
Tartufo Bianco
Riccio di Mare
Als ich zur Toilette gehe, kann ich einen Blick in die „Eisküche“ erhaschen. Zwei wohlbeleibte „Tartufoieris“ (eigene Wortkreation) schichten die unterschiedlichen Zutaten zunächst in eine kleine Schale und formen sie dann „per Hand“ zu einer Kugel, die in gehackten Mandeln gewälzt wird.
Gestärkt treten wir den Heimweg an, wollen aber das Risiko, überfahren zu werden, um drei Kilometer reduzieren, indem wir mit der Bahn zurückfahren. Auf dem Bahnsteig warten schon eine Menge Urlauber, überwiegend deutschsprechend. Alle sind schon mit der Bahn hierhergekommen und besitzen eine Rückfahrkarte. Da das Bahnhofsgebäude heute, am Wochenende, geschlossen ist, können wir keine Fahrkarte erwerben. Es gibt auch keinen Fahrkartenautomaten und schon wieder beim Schwarzfahren erwischt zu werden (siehe Fiumicino und Danzig), wollen wir nicht riskieren.
Also kehren wir auf die Straße zurück, werden dort angehupt, springen von Seite zu Seite, pressen uns in die Büsche und ziehen den Bauch ein. Einen Kilometer vor dem Ortseingang von Vibo Valentia bremst ein Auto neben uns ab. Mit temperamentvollen Gesten macht uns der Fahrer klar: Wir befinden uns in Lebensgefahr. Sollen sofort einsteigen. Kostet auch nichts!
Unser Retter ist Besitzer einer Pizzeria in Vibo Valentia. Als wir ihm erklären, warum wir weder mit dem Bus noch mit der Bahn fahren konnten, sagt er lachend: „Ihr seid hier schließlich in Süditalien!“
Dann fährt er uns bis zum Eingang der Marina und braust davon.