Am Freitag werfen wir schon um sieben Uhr morgens die Leinen los und machen uns auf den Weg von Salerno nach Agropoli. Nach 40 Minuten kommt endlich etwas Wind auf, doch kaum haben wir die Segel gesetzt, ist er schon wieder eingeschlafen. Die Küste wird fast vom Dunst verschluckt und so sehen wir wenig von der schönen Landschaft und schon gar nichts von den Ruinen der Stadt Paestum, deren Tempel nur zwei Kilometer entfernt von der Küste als Landmarke in zeitgenössischen Seekarten verzeichnet sind. Dann sind es nur noch ein paar Seemeilen und wir haben unser Ziel erreicht.
Agropoli
Ein bisschen erinnert uns Agropoli dort oben auf dem felsigen Kap an Calvi auf Korsika. Die Stadt im Cilento wurde von Griechen in der Antike gegründet und bedeutet „Stadt in der Höhe“. Früher hatte Agropoli nur einen einzigen Zugang über eine treppenartige Rampe, die oben am Stadttor endete. Heute ist es der schönste Eingang zu der verwinkelten Altstadt mit ihren engen Gassen, Treppen, zwei Kirchen und ganz oben einem Kastell.
Vor dem Stadttor wird die Liebe professionell auf Fotos gebannt
während die Männer auf der Treppe unter blühenden Oliven sitzen und laut diskutieren
Unter dem Motto „Blumenstadt“ hat die Gemeinde die Plätze und Straßen mit bunten Blumenkübeln geschmückt und auch die Bewohner hegen und pflegen die Blütenpracht, die vor Haustüren und auf Balkonen aus Töpfen und Kästen quillt.
Gleich hinter dem Stadttor steht die erste Kirche: Madonna di Costantinopoli. Vom Kirchplatz aus schauen wir hinunter auf den Hafen, den sich Fischer und Freizeitkapitäne teilen. Die Stege werden von mehreren Ormeggiatori verwaltet, die auf ihrem Steg unter einem Zeltdach auf der Bank sitzen und auf Kunden lauern. Bei unserer Ankunft winkten gleich zwei zu uns herüber, doch wir mussten zuerst zur Tankstelle. Dort rief die „Tankfrau“ bei den verschiedenen Anbietern an und schließlich stand der junge Mann von „Gli Amici di Agropoli“ vor uns, wir handelten einen Preis aus (35 Euro pro Nacht) und machten nach dem Tanken an seinem Steg fest.
Blick auf den Hafen
Der Weg zum Duschhaus mit der Toilette (10 Minuten Duschen kostet 1,50 Euro, Toilette 0,50 Euro)ist zwar relativ weit, aber das „Open Internet“ der Gemeinde funktioniert auch an Bord bestens. Außerdem gibt es im Sanitärgebäude eine Waschmaschine und einen Trockner. Noch nie habe ich so preiswert gewaschen: 2,50 Euro sowohl für Waschen als auch für Trocknen.
Am Samstag ist also erstmal Waschtag. Danach erklimmen wir auch die letzten Treppen bis hinauf zum Kastell. Dabei kommen wir an der zweiten Kirche vorbei, wo gerade ein frisch vermältes Brautpaar abgelichtet wird, während die Tauben die glücksbringenden Reiskörner auf dem Kirchplatz aufpicken.
Noch bevor wir die Befestigungsanlage sehen, hören wir ein lautes Stimmengewirr. Dann wird klar: Heute gibt es für uns keine Besichtigung, denn in der Burganlage wird gerade eine weitere Hochzeit gefeiert.
Auf dem grünen Rasen stehen und sitzen die Gäste um das Brautpaar herum. Nach dem Applaus für einen Redner wird mit einem edlen Tropfen angestoßen. Das Brautpaar steht hinter der mächtigen Hochzeitstorte und lässt sich feiern. Die Gäste laben sich an den verlockenden Kuchentafeln, die rundum aufgebaut sind. Unter einem Baldachin sind Gläser mit Süßigkeiten aufgestellt, an einem anderen Stand liegen Konfektschachtel-ähnliche Präsente. Ein kleines Orchester sorgt für den musikalischen Rahmen, während in den Räumlichkeiten im Kastell die Tische für das abendliche Festessen gedeckt werden.
Um Mitternacht werde ich aus dem Schlaf gerissen. Beim Blick aus der Luke sehe ich, wie bunte Raketen über der Altstadt zerplatzen. Das Hochzeitsfest im Kastell hat jetzt sicher seinen Höhepunkt erreicht.
Heißt es nicht, dass Regen am Hochzeitstag reichen Kindersegen verspricht?
Jedenfalls regnet es in der Nacht und auch am nächsten Tag treiben dunkle Wolkenberge von See in die Berge. Der Wind frischt böig auf und wir hängen noch einen Tag dran in Agropoli. So haben wir die Gelegenheit, mit dem Zug nach Paestum zu fahren.
Als wir hinter dem Bahnhof in Paestum das Tor der alten, 4740 m langen Stadtmauer erreichen, erwartet uns schon wieder eine kleine Hochzeitsgesellschaft. Rund um die Braut haben sie sich auf den „Trümmern“ verteilt, schnattern und lachen, während der Fotograf die Erinnerungsfotos schießt.
Hochzeitsgesellschaft am alten Stadttor
Und als wir nach ein paar Stunden zurückkehren, lässt sich ein weiteres Paar – sie im filigranen Spitzenkleid, er in eleganter Uniform mit Degen – in zärtlicher Umarmung auf der Wiese vor der Stadtmauer ablichten.
Kaum sind wir durch das mächtige Tor und wieder auf der Straße vor dem Bahnhof, marschiert noch ein strahlendes Brautpaar über den Gehweg auf seinen „Hoffotografen“ zu.
Irgendwo muss hier ein Nest sein, aus dem die alle kommen!
Als wir später auf dem Bahnsteig auf unseren Zug warten, treffen wir ein junges Paar und kommen ins Gespräch. Der junge Mann kann nämlich etwas Deutsch, denn sein Opa blieb auf seiner Globetrottertour zwischen dem 1. und 2. Weltkrieg in Neapel hängen und heiratete dort die Oma. So erfahren wir, dass Kuchenberge (siehe Kastell) zu jeder italienischen Hochzeit gehören und Hochzeitsfotos vorzugsweise in antiken Ruinen aufgenommen werden, woraus sich wohl schon ein Geschäftsmodell entwickelt hat. 400 Euro war das Angebot für eine Freundin im Parco Archeologico di Baia!
„Und, macht sie es?“ frage ich. „Sie denkt noch drüber nach,“ ist die Antwort.
Wir kommen jedenfalls günstiger in die Ruinen!
Für 9 Euro Eintritt pro Person haben wir Zutritt zum Archeologischen Museum mit einer bedeutenden Sammlung archaischer Bauskulpturen, Votivgaben und Grabfresken aus griechischer und lukanischer Zeit. Eines der Highlights ist das Grab des Tauchers.
Der sogenannte Jenseitssprung , der 480 v. Chr. den Übergang des Sterbenden vom Diesseits ins Jenseits darstellt, ist das einzige bisher bekannte Beispiel griechischer Freskomalerei aus der Zeit der Klassik.
Und abgesehen von aller kunsthistorischen Erklärung: Das Bild ist berührend in seiner gekonnten Ausführung und seiner Aussagekraft.
Was uns aber wirklich „von den Socken haut“ sind die drei griechisch-dorischen Tempel, die sich zwischen den Resten einer antiken römischen Stadt erheben. Noch nie haben wir vor solch imposanten Bauwerken gestanden.
Der Athena-Tempel (500 v. Chr.)
Der Poseidon-Tempel (470 v. Chr.) , dahinter die sogenannte Basilika, die der Göttin Hera geweiht war(550 v. Chr.)
So hat uns der Wind wieder einmal ein tolles Erlebnis beschehrt. Wäre es nicht so stürmisch gewesen, wir wären schon weitergefahren und hätten die Tempel nicht besucht.
Zum Abschluss dieses Tages versinkt die glutrote Sonne hinter den Bergen im Meer, dort, wo irgendwo Capri liegen muss. Ein einsamer Segler kämpft sich durch die Wellen und macht schließlich an unserem Steg fest. Der dramatische Himmel verdunkelt sich. Der Wind dreht noch einmal auf und schießt in Böen bis sieben Beaufort von Agropoli und den umliegenden Bergen hinunter auf die Schiffe, die an ihren Leinen zerren.