06.10.2016 – Goldener Oktober

1-img_3939 Fehlanzeige! Jedenfalls nicht im Moment. Bleigraue Wolkenmassen, aus denen sich Sturzbäche ergießen. Manchmal auch Hagelkörner, die aufs Deck trommeln. Blitze, die sich mit wilden Zuckungen den Weg ins Meer bahnen, gefolgt von krachenden Donnerschlägen. Dann eine kurze Ruhepause, bis die heulenden Windfurien erneut Fahrt aufnehmen. Sie rütteln an allem, was sich ihnen in den Weg stellt: Masten, Fallen, Persenninge, Festmacher… Wehe, wenn sie eine Rollfock zu fassen kriegen, die nicht sorgfältig aufgerollt wurde! Wie hungrige Wölfe reißen und zerren sie an ihr, bis sie in Fetzen am Vorstag schlägt.

Dann verschmelzen die Furien zu einem brüllenden Ungeheuer. Mit seiner Riesenpranke schiebt es die Schiffe auf die Stege. Unnachgiebig kämpft es mit den Festmachern, die unter der Wucht ächzen und stöhnen.

Der Windmesser fiept seinen Warnton durch die Kuchenbude. Auf der Anzeige leuchtet die Acht, dann die Sieben, dann wieder die Acht. Ich sitze im Cockpit und halte den Atem an. Hoffentlich hält unsere Mooringleine und die der Nachbarschiffe rechts und links!

Nach 15 Minuten ist die Walze weitergezogen. An unserem Steg ist alles heil geblieben. Das Zelt des Restaurants an Land ist jedoch zusammengebrochen. Über den Tischen und Stühlen türmt sich das schwarze Gestänge wie ein Mikadospiel. Die Teile der weißen Zeltplane flattern wild umher. Die große Gasflamme – wir haben sie „das ewige Licht“ getauft – ist nach der ersten heftigen Böe mit Getöse umgestürzt und wird demnächst wohl nicht mehr leuchten, wenn wir abends von unserem Ausflug nach ROM zurückkehren.2-img_3940

Ja, wir haben es geschafft! Nach einem letzten Stop in der Riva di Traiano Marina zwei Seemeilen südöstlich von Civitavecchia schwimmt die Anima mea nun im Tyrrhenischen Meer. Ist das eine Überraschung, als an unserem Steg in der Riva di Traiano Marina eine Yacht mit folgendem Namen liegt:3-img_3613

Wenn wir morgens aus der Dusche kommen, lesen wir zunächst Magnificat und kurz danach Anima mea. Das ist die erste Zeile des Lobgesangs der Jungfrau Maria, in vielfältiger Form von berühmten Komponisten vertont und Quelle unseres Schiffnamens. (Mein Favorit ist übrigens das Magnificat von Johann Sebastian Bach.)

Das ist allerdings auch schon das „Spektakulärste“, was wir bis hierher seit dem Verlassen der Toskana erlebt haben. Nach dem Monte Argentario folgt ein relativ langweiliger, 30 Seemeilen langer Küstenstreifen mit zwei Kraftwerken und der Industriestadt Civitavecchia, die angeblich ihre Daseinsberechtigung nur daraus bezieht, dass dort der Sambucca zu Hause ist. So steht es jedenfalls in Rod Heikells Küstenhandbuch Italien.

Der Wetterbericht kündigt starken Südwind an. Da motoren wir lieber die 29 Seemeilen bei „kein Wind“ Richtung Süden. Endlich erscheint auf der elektronischen Seekarte der Ort unserer Sehnsucht!4-img_3619

Mit Kurs auf Vatican City

Natürlich ist der Tiber – die Italiener nennen ihn Tevere – nicht bis Rom schiffbar. Doch kurz hinter dem größten römischen Flughafen Fiumicino Leonardo da Vinci mündet in dem Küstenort Fiumicino ein Seitenarm des Tiber, der Canale di Fiumicino. An seinen Ufern reihen sich die „Cantiere Nauticos“ – die Schiffswerften – aneinander. Man kann also ein Stück weit den Tiber hinauffahren, allerdings nicht bis in die „Ewige Stadt“.

Wir wollen jedoch nicht in diesen Tiberarm. Auch (noch) nicht in den nächsten, den Fiumara Grande, der kurz vor Lido di Ostia mündet.5-img_3943

Unten links: Die beiden Mündungsarme des Tiber.Am Lido di Ostia – dem Strand der Römer – ist die Marina di Roma.

Während ich durchs Fernglas die ununterbrochen startenden und landenden Flugzeuge beobachte, steuert der Käptn den Porto Touristico di Roma in Ostia an. Im Küstenhandbuch Italien steht zwar, dass zwischen Fiumincino und Fiumara Grande voraussichtlich ab 2015 eine neue Marina zur Verfügung steht, doch tatsächlich befindet sich dort nur eine riesige Baustelle, an der gerade die Tetrapoden für die Außenmole aufgetürmt werden.

Doch im Porto di Roma ist an diesem letzten Septembertag noch ein Platz für uns frei. Eine perfekte Marina mit guter Verkehrsanbindung an Italiens Hauptstadt, in der viele Yachten überwintern.6-img_3620

 Der Kontrollturm im Porto di Roma

In ihrem Schlauchboot warten schon die Marineros auf uns und lotsen uns zu unserem Liegeplatz. Der Steg ist durch ein Tor gesichert und nur mit dem Spezialschlüssel zu öffnen, den ich gleich an der Rezeption erhalte. Auch die ordentlichen Sanitärgebäude, nur ein paar Schritte vom Steg entfernt, sind mit diesem Schlüssel zugänglich. Bezahlen sollen wir erst, wenn wir wissen, wie lange wir bleiben wollen. Ab Oktober sinken die Preise erheblich. Es gibt Tages-, Wochen- und Monatstarife. Für die nächsten sechs Monate bekämen wir einen guten Preis, doch wir wollen uns noch nach einem Winterlager an Land umschauen. Die bösen Erfahrungen mit unserem ersten Wasserliegeplatz in England kommen immer wieder hoch, wenn wir ein Winterquartier für unser Schiff suchen. Dafür hat man an der Rezeption vollstes Verständnis. Mit einem Voucher für Wifi, einem Ortsplan von Ostia und zwei Bustickets kehre ich an Bord zurück.

Ja, Bustickets verkaufen sie in der Marina auch noch? – In Italien kann man in allen möglichen Geschäften, z.B. Kiosks, Bars, Tabakläden, Bustickets kaufen, aber nicht beim Busfahrer. Natürlich ist nicht immer gleich neben der Bushaltestelle ein Geschäft mit Ticketverkauf. Um uns das Leben zu erleichtern und weil es auf Dauer auch billiger und bequemer ist, wollen wir uns ein Wochenticket für Roms Verkehrsnetz zulegen.

Am nächsten Morgen stehen wir an der Bushaltestelle. Wo ist der Fahrplan? – Wir erfahren später: Es gibt keine Busfahrpläne. Lediglich die Nummer der Buslinie und ihr Anfangs- und Endhaltepunkt stehen auf dem Schild an der Haltestelle. Die Busse fahren aber sehr oft. Länger als zehn Minuten muss man selten warten.

Heute wollen wir uns noch nicht in den Trubel der Großstadt stürzen. Erst mal nach Ostia Antica, der Ausgrabungsstätte mit dem alten Hafen der Stadt Rom. Heute liegt der Ort mehr als vier Kilometer vom Tyrrhenischen Meer entfernt. Wegen zunehmender Verlandung wurde die einstige Versorgungs- und Militärstation der Millionenmetropole seit dem 2. Jahrh. nach Chr. allmählich aufgegeben.

Nach etwa 20 Minuten Busfahrt sind wir am Bahnhof Lido Centro. Dort kaufen wir für je 24 Euro zwei Wochenkarten für Bus und Bahn. Nur zwei Stationen mit der Stadtbahn, dann können wir in Ostia Antica aussteigen.

Es ist sehr warm und daher schön, auf der alten Straße unter schattigen Pinien zu wandern.7-img_3622

Zunächst kommen wir an den Grabstätten vorbei. Welcher Aufwand damals betrieben wurde! In die Marmorsärge wurden kunstvolle Bilder gemeißelt. Diese wurden in gemauerten Grabstätten beigesetzt. So entstand ein eigener Stadtteil für die Verstorbenen.8-img_3735

Sarg für einen Künstler oder Kunstliebhaber?

Nach der Totenstadt folgt die Stadt der lebenden Bevölkerung mit allem, was damals gebraucht wurde: Handels- und Wohnhäuser, Mühlen, Brunnen, Thermen, Kultstätten und ein Amphittheater. Dort lebten zwischen Anfang des 4. Jahrh. vor Chr. und dem 2. Jahrh. nach Chr. bis zu 100 000 Menschen an der Tibermündung (lat. ostium = Mündung).9-img_3739

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Ausgeklügelte Technik: Eine Mühle11-img_3696

Besonders beeindrucken mich die kunstvollen Mosaikfußböden. Die aufwändige Technik wird mittels einer Schautafel erklärt:12-img_3697

Zuerst wird der feste Untergrund aufgetragen. Darauf kommt eine Schicht grauer Putz, in die die Figuren eingeritzt werden. Dann wird das Muster mit weißen und schwarzen Mosaiksteinchen ausgelegt. Einmalig schöne Bilder, an denen man sich nicht satt sehen kann!13-img_3653

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Im Museum von Ostia Antica wurde ein perfekter Rahmen für die wunderschönen Skulpturen und Särge gestaltet.15-img_3728

Egal, ob Faltenwurf oder nackte Haut: Die Steinmetze beherrschten ihre Kunst!16-img_3724

Als wir das Museum verlassen, hat sich der Himmel zugezogen. Dann beginnt es zu tröpfeln. Kurz vor der Zugstation entwickelt sich ein heftiger Schauer. In der Nacht toben schwere Gewitter. Der neue Monat beginnt mit Regen!

 

 

 

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