Gut, dass wir rechtzeitig nach Bastia gekommen sind! – Während bei unserer Ankunft noch viele Liegeplätze frei sind, füllt sich der Hafen bis zum Abend mit der gleichen Geschwindigkeit, wie der Wind zunimmt. Auf dem Display des Windmessers leuchtet in der Dunkelheit beständig die Sieben, während es in den Wanten pfeift und scheppert. Die Schiffe zerren und rucken an ihren Leinen und Moorings, als wollten sie sich losreißen. Die Wahnsinnigen!
Unsere Fender quietschen, wenn die Böen aus Südwest uns auf die Backbordseite des italienischen Nachbarn drücken. Dann verändert sich der Ton des Windes. Er heult wie ein wildes Monster, das in einem riesigen Rohr eingesperrt ist. Windstärke acht! Sturm!
Wer nicht seefest ist, könnte im Hafen seekrank werden. Die Eigner stehen in der Dunkelheit auf ihren Schiffen, prüfen die Leinen, beobachten die Lage. Auch der Käptn sitzt im Cockpit, steigt immer wieder aufs Deck, wacht fast ununterbrochen die ganze Nacht. Es scheppert, ein Glas ist umgestürzt und zerbrochen. Nun haben wir nur noch vier Weingläser im Schrank.
Am nächsten Tag verebbt der Sturm. Doch niemand rührt sich von seinem sicheren Liegeplatz.
Ich gehe zum Sanitärgebäude und treffe eine kleine, blonde Person. Sie spricht mich auf Englisch an. Wir amüsieren uns über eine der Toiletten. Sie hat ein großes Fenster in der Außenwand. Ohne Sichtschutz! Die Crew der großen Motoryacht nebenan könnte problemlos bei der Verrichtung der Notdurft zuschauen. „Das kann nur ein Mann gebaut haben!“ erklärt die kleine Dame, die sich als Jenny aus Neuseeland vorstellt.
Natürlich frage ich, ob sie denn aus Neuseeland hergesegelt sei. Nein, ihr Mann hat die Segelyacht in Irland gekauft, dann ins Mittelmeer gesegelt, wo sie viele Jahre in der Türkei verbracht haben. Nun sind sie auf dem Weg in die Heimat am anderen Ende der Welt. Aber zuerst soll es über Cap Corse und dann an der Westseite von Korsika nach Süden gehen. Ende August müssen Kinder und Enkelkinder am Flughafen Olbia/Sardinien sein, um nach Hause zu fliegen. Bis dahin will man Sardinien erkunden.
Als ich ihr erzähle, dass wir Sardinien bereits kennen, fragt sie, ob ich ihr ein paar Informationen geben kann. Im Gegenzug wolle sie mir die schönsten Plätze vom italienischen Festland auf- bzw. beschreiben. Sie lässt sich von mir zeigen, wo unser Schiff liegt. „In the afternoon“ wolle sie wiederkommen, ihre Info abgeben und meine mitnehmen.
Ich mache mich sofort an die Arbeit! Auf Backpapier pause ich aus dem Handbuch die Inseln Korsika und Sardinien durch, klebe sie auf ein Blatt Papier und trage die Häfen ein. Dann schreibe ich meine Infos dazu. Zuletzt hefte ich eine Visitenkarte mit unserer Internetadresse an das Blatt.
Doch Jenny erscheint nicht. Dafür beginnt es wieder zu blasen. Weitere Schiffe retten sich in die Marina. Schließlich liegt sogar eins am Wartesteg und eins an der Tankstelle. Dann kommt noch eins. Doch es ist kein Platz mehr. Der Unglücksrabe muss den Hafen wieder verlassen.
Auch in der folgenden Nacht machen wir kaum ein Auge zu. Der Wind hat jetzt gedreht, kommt von Nordwest und drückt den italienischen Nachbarn an unsere Bordwand, dass die Fender wieder quietschen.
Als ich am nächsten Morgen vom Duschen zurückkehre, überreicht mir der italienische Nachbar ein Blatt Papier. „From Jenny“, erklärt er. Na, dann schnell hin zu den Neuseeländern, bevor sie den Hafen verlassen. Wir suchen die Stege ab und werden schließlich fündig. Wir lernen Jennys husband, den Sohn und die beiden Enkelkinder kennen. Jenny freut sich über die detaillierte Info und entschuldigt sich, dass ihre viel knapper ist. Sie hat nur aufgeschrieben, „was ihr am Herzen lag“. Aber auch sie hat ihre Internetadresse aufgeschrieben, „for more information“.
Bei www.sailblogs.com/member/elixirnz kann man unter anderem nachlesen, wie Jenny in Griechenland von einer Ratte in den Zeh gebissen wurde.
Dann legen die netten Neuseeländer ab. Wir wollen noch bleiben, bis sich Wind und Wellen gelegt haben. Und vor allem wollen wir uns dieses Mal Bastia genauer ansehen als vor 37 Jahren.
Damals kamen wir am Nachmittag mit der Fähre an und schoben unsere Fahrräder durch eine Stadt, wie ich sie bis dahin noch nie gesehen hatte. An der Straße standen hohe, mehrstöckige Häuser mit windschiefen Fensterläden. Alles grau-braun, alles irgendwie heruntergekommen. Das Wort „Slum“ war damals noch nicht gebräuchlich, doch es hätte gepasst.
Bei diesem Anblick zog es uns nicht hinauf zur Zitadelle. Wir waren von der anstrengenden Überfahrt abgekämpft und müde und hatten keine Lust, die bepackten Räder den Berg hoch und durch verwinkelte Altstadtgassen zu schieben. Also fuhren wir schnell hinaus aus der Stadt, stürzten uns in die Fluten des Mittelmeeres und übernachteten am Strand.
Heute machen wir alles ganz anders. Nur eine Viertelstunde Fußweg dauert es vom Port Toga am Fährhafen vorbei bis zum Place Saint-Nicolas. Hier stehen mehrere Denkmäler, darunter natürlich auch vom berühmtesten Korsen: Napoleon Bonaparte.
Place Saint-Nicolas
Am Rande unter schattigen Platanen haben Restaurants und Cafes ihre Tische aufgebaut. Kaum zu glauben, dass auf diesem Platz im Winter Schlittschuhläufer auf einer Kunsteisbahn ihre Kreise drehen!
Kurz danach erreichen wir den Vieux Port. Ich entdecke ein spanisches Schiff und frage den Eigner, wie die letzten beiden Nächte waren. „Sehr unruhig, besonders für die Schiffe an der Mauer war es wohl schrecklich“, meint er.
Aber jetzt ist es wieder friedlich und die bunt gestrichenen Häuser rund ums Hafenbecken leuchten mit dem strahlend blauen Himmel um die Wette. Wir setzen uns in ein Cafe und freuen uns, dass die alten Häuser von damals noch stehen und man zunehmend versucht, die marode Bausubstanz zu retten. Wird wohl noch lange dauern, denn einen „Soli-Beitrag“ gibt es auf Korsika nicht. Das Mutterland Frankreich hat selbst zu kämpfen. Erklären sich so vielleicht die ziemlich hohen Preise für Essen und Trinken?
Vieux Port: Alt neben Neu
Gestärkt wandern wir hinauf zur „Bastiglia“. Das ist der italienische Ausdruck für „Zitadelle“. 1380 befestigten Genuesen den Ort mit einer Bastiglia, woraus der Name Bastia entstand.
Ein mächtiger Maulbeerbaum steht am Wegesrand. Er ist über und über voll mit schwarzen und roten Früchten. In Alghero (Sardinien)hatte ich beobachtet, wie die Leute die brombeerähnlichen Früchte der Maulbeerbäume aßen. Nun muss ich es auch mal versuchen! Ich bin überrascht, wie süß die schwarzen, länglichen Beeren schmecken.
Der Käptn hält nichts vom Naschen an wilden Sträuchern und Bäumen. Er wartet schon im kleinen Garten der Zitadelle unter der mächtigen Kiefer.
Wie ein riesiger Schirm
Dann bummeln wir durch die Terra Vecchia, die Altstadt von Bastia. Im Hof des Gouverneurspalastes, in dem sich auch das Ethnografische Museum befindet, stoße ich auf eine Bilderfolge des Amateurfotografen Tito de Caraffa. Er bereiste Korsika mit dem Auto, dem Pferd, dem Zug und dem Rad. Im Jahre 1907 – zufällig das Geburtsjahr meines Vaters – fotografierte er seine Tochter Felicite´auf dem „bicyclette“. In diesem Outfit hätte sie aber kaum wie ich die Insel umrunden können! Die knappe Shorts , das ärmellose Shirt und eine Schicht Sonnencreme waren in der Hitze des Tages das Einzige, was ich auf dem Körper trug.
Tito de Caraffa: Felicite´ per Rad auf Korsika
Über den Place du Marche´, vorbei an der Barockkirche Saint-Jean-Baptiste wandern wir weiter zur Kathedrale Sainte-Marie.
Am Ende der Gasse: Der rosa „Campanile“ von Sainte-Marie
Unser Rundgang endet mit einem letzten Blick hinunter auf den alten Hafen. Dann suchen wir auf dem Stadtplan den Weg zum Bahnhof. Morgen wollen wir endlich mit der berühmten Schmalspurbahn in die korsischen Berge fahren. Fehlen nur noch der Fahrplan und das Ticket!
Blick von der Bastille auf den Vieux Port