So ist das beim Segeln: Manche Orte, die man gerne anlaufen würde, erreicht man nie, weil Wind und Welle dagegen sind. Andere entdeckt man ungewollt zweimal, obwohl man es ganz anders geplant hatte. Im Nachhinein sagt man sich aber meist, dass es doch schade gewesen wäre, wenn´s anders gekommen wäre.
Wir hatten ja bereits von Jersey aus mit der „Condor“-Fähre eine Stippvisite nach Saint Malo gemacht und wollten danach weiter nach St Quay-Portreux , doch das Malheur mit meinem Backenzahn trieb uns erneut hierher. Nun ist seit unserer Ankunft wieder eine Woche vergangen, und wir blicken zurück auf viele neue Eindrücke und Erlebnisse.
Da wäre zunächst die Zahnbehandlung. Vier Rendez-vous hatte ich bei „meinem“ Doktor. Ich bin wirklich sehr zufrieden mit der sehr rücksichtsvollen und gründlichen Behandlung, die obendrein auch noch preiswerter ist als in Deutschland. Wieso das so ist? Vielleicht liegt es zum Teil auch daran, dass es hier – soweit ich es erlebt habe – in Punkto Ausstattung und Aufwand in der Arztpraxis etwas bescheidener als in Deutschland zugeht. Auf Jersey ist es noch schlimmer, was die Arzthonorare angeht. Aber da leben ja auch die britischen Millionäre.
Mein „Chirugien-Dentiste“ hat seine Praxis in einem typischen Altbau im Stadtteil St. Servan. Durch das Eingangstor gelangt man in einen Gang, der zum engen Treppenhaus mit linoleum-belegten, ausgetretenen Treppenstufen führt. Im ersten Stock steht an der Praxistür: „Bitte klingeln und eintreten!“(natürlich auf Französisch). Dann steht man in einem schlauchartigen Flur. Am rechten Ende des fensterlosen Flurs hat die einzige Sprechstundenhilfe ihren kleinen Sekretär mit einem Computer und einem Aktenschränkchen. Hier werden Termine vereinbart und Rechnungen bezahlt. Nach der freundlichen Begrüßung wird man ins kleine Wartezimmer gebeten. Es ist sehr wohnlich eingerichtet. Eine fest eingebaute, gepolsterte Bank, mit Kissen drapiert, zwei Gartenklappstühlchen, ein Tischchen, auf dem hauptsächlich Anglerzeitschriften liegen, eine Grünpflanze in einem aus einem Palmenstamm gefertigten Übertopf vor dem einzigen Fenster und an den Wänden ganz viele Bilder mit maritimen Motiven. Doch man hat nicht viel Zeit zum Verweilen. Nach wenigen Minuten – man hat gerade noch das Schild mit der Aufschrift: „Bezahlung nur per Check oder bar“ (natürlich auch auf Französisch) gelesen – wird man ins Behandlungszimmer gebeten. Das liegt am anderen Ende des Flurs „a droite“, also rechts. Es ist so klein wie das Wartezimmer und wird zu einem Drittel vom Behandlungsstuhl ausgefüllt. Das zweite Drittel beanspruchen die wenigen Schränke und Ablageflächen an den holzverkleideten Wänden, das dritte Drittel reicht gerade noch für Herrn Doktor und seinen Patienten. Eine Assistentin, wie in Deutschland üblich, wäre hier nur im Wege! Herr Doktor, ein sehr ruhiger und freundlicher Mensch, dunkelhaarig und schnauzbärtig, kann Gott sei Dank etwas Englisch. Er ist wohlbeleibt und trägt einen dunklen Kittel, der viel Bewegungsfreiheit bietet, da er – wie bei einem Friseurumhang – hinten offen ist. Während der Behandlung verlässt der Doktor häufiger den Raum, um nebenan Material oder ein Instrument zu holen. Dann sehe ich seinen makellos gebräunten Rücken unter dem offenen Kittel aufblitzen, denn darunter trägt Herr Doktor blanke Haut. In Deutschland undenkbar! Nach vier Behandlungsterminen habe ich mich aber an diesen Anblick gewöhnt, zumal der Arzt wirklich ordentlich arbeitet und bei der Behandlung modernste Technik einsetzt. Beim Bohren und Schleifen schaue ich mir dann die unzähligen Seestücke an den Wänden an, lausche der Popmusik, die aus dem Radio in der Ecke erklingt und genieße die frische Luft, die aus dem stets geöffneten (einzigen) Fenster mit dem verwitterten Fensterrahmen aus dem kleinen Hinterhof hereinströmt. So ist das also beim französischen Zahnarzt.
Zwischen den Zahnarztterminen hatten wir jedoch noch reichlich Gelegenheit, Saint Malo und die nähere Umgebung zu erkunden.
Der von einer 1,8 km langen Festungsmauer umgebene Stadtteil von Saint Malo heißt „Intra Muros“ oder „Ville Close“. Man kann auf der Mauer entlanglaufen und hat auf der einen Seite herrliche Ausblicke auf das Meer, die Inseln und mehrere Forts, während man von der anderen Mauerseite hinunter in die Gassen der Stadt schauen kann. Lange verweilten wir in der Kathedrale Saint-Vincent mit ihren farbenprächtigen Glasmalereien. Danach genossen wir noch eine Galette (Buchweizencrepes mit herzhaften Füllungen) und den leckeren Cidre aus den Apfelgärten an den Ufern der Rance, die in Saint Malo mündet.
Intra Muros
Blick über die Mauer auf das Fort de la Reine
Das Möwen-Modell vor dem Fort National, das nur bei Ebbe erreichbar ist
Gasse mit Fachwerkverbindung
Die Kathedrale St. Vincent (12.-18. Jahrh.)
Lecker gefüllte Galette mit einem Tässchen Cidre
Den Vorabend des Pfingstfestes verbrachten wir dann an Bord bei einer gut gekühlten Flasche Sekt , angereichert mit frischen Erdbeeren aus der Bretagne.
Während es die meisten Franzosen zu Pfingsten an die Strände zog, wanderten wir am Pfingstsonntag von Saint Malo aus in östlicher Richtung am Strand entlang zum Badeort Rotheneuf. Der Blick schweifte ständig hin und her zwischen den wunderbaren Ausblicken auf die „Cote d´Emeraude“ (Smaragdküste) und die hübschen Häuser an der Uferpromenade. Wenn wir jetzt die englischen mit den französischen Häusern vergleichen, müssen wir doch sagen, dass der französische Baustil eleganter ist und dass die Franzosen ihre Häuser sehr pflegen . Das ist in England leider nicht überall der Fall.
Gut beschirmt am Badestrand
Ein Haus schöner als das andere!
Kleine, feine Häuser.
Große, feine Häuser.
Die Cote d´Emeraude
Ein seltener Vogel: Schwarzkehlchen
Die Eidechse wohnt auch in einem Granithaus
Ginsterwolken
Pfingstmontag zog es uns an die Ufer des Flusses Rance, der in Saint Malo ins Meer mündet. Beim Gezeitenkraftwerk, das seit 1966 die Kraft der Gezeitenströmung nutzt, überquerten wir den Fluss und wanderten am anderen Ufer zurück zum Seebad Dinard, dem ältesten Seebad der Bretagne. Mit der Fähre fuhren wir von hier zurück nach Saint Malo.
Am Ufer der Rance
Das Gezeitenkraftwerk
Die Kraft des Wassers
Durch die Schleuse am Kraftwerk kann man mit dem Boot von Saint Malo nach Dinan
Uferpromenade in Dinard
Am Dienstag war die Kühlbox leer und der Wäschesack voll. Da es im Hafen keine Waschmaschinen gibt, wanderten wir zu einem einen Waschsalon nach St. Servan. Während die Wäsche wusch, kauften wir ein. Ein besonderes Vergnügen in Frankreich! Hier gibt es noch viele kleine, feine Geschäfte: Schlachter, Bäcker, Feinkostgeschäfte, Fischgeschäfte, Obst- und Gemüsehändler…. Außerdem einen kleinen Supermarkt und einen überdachten Markt mit allen Köstlichkeiten, die Gott in Frankreich zum Leben braucht, z.B. verschiedene Quiches, knackige Kirschen, zuckersüße Aprikosen, würzige Bratwurst und nebenan in der Fischhalle das frische Meeresgetier. Man muss wirklich viel wandern, um nicht kugelrund zu werden! Der Himmel weiß, wieso die meisten Franzosen trotz dieser Verlockungen überwiegend schlank sind. Aber sie reden sehr viel, diskutieren laut und temperamentvoll und halten mit ihren Emotionen – ganz im Gegensatz zu den Engländern- nicht hinter den Berg. Vielleicht kostet das ja auch jede Menge Kalorien.
Wir leben hier also wie die Made im Speck. Trotzdem mussten wir gestern mal den Bus nehmen, denn zu dem mittelalterlichen Städtchen Dinan war es zu Fuß einfach zu weit. Von Festungsmauern umgeben thront es auf einem Hügel (keltisch „dunos“ ) über dem Tal der Rance mit dem kleinen Hafen. Dieser Hügel ist der Sitz der Göttin Ahna (Göttin der Lebenden und der Toten). Aus diesen beiden Wörtern entstand wahrscheinlich der Name Dinan.
Blick von der Stadtmauer auf den Hafen und das Tal der Rance
Hübscher geht´s nicht!
Gestern hatte ich den letzten Termin beim Zahnarzt. Mittlerweile wurde ich nicht nur freundlich sondern herzlich empfangen. Nachdem die neue Krone eingesetzt war, kamen Herr Doktor und ich ins Gespräch. Er erzählte , dass er selbst auch segelt und wünschte uns guten Wind für die Weiterreise. Und plötzlich sprach er ein paar Wörter deutsch! Er hatte es fünf Jahre lang in der Schule gelernt, „aber alles vergessen“, wie er sagte. Auch die nette Sprechstundenhilfe verabschiedete mich mit „Auf Wiedersehen!“, was ich aber nicht hoffe. Schließlich wollen wir heute nach St. Quay Portrieux segeln und damit 35 Seemeilen weiter nach Westen kommen. Aber schön war es doch, zweimal in Saint Malo zu sein!