Mittlerweile leben wir schon eine Woche bei den ESELN. So nennen die Menschen auf Jersey die angeblich sturen und konservativen Guernseymen. Im Gegenzug werden die Bewohner Jerseys, deren lockerer Lebensstil den Menschen hier ein Dorn im Auge ist, KRÖTEN genannt. Solche Rivalitäten kennt man ja auch bei uns in Deutschland. Man denke nur an das Verhältnis der Hamburger zu den Bremern oder der Kölner zu den Düsseldorfern.
Wir finden die „Esel“ aber sehr nett. Wenn wir durch die Gegend wandern oder durch den Hafen gehen, nehmen sie meist gleich Blickkontakt auf und grüßen freundlich. Als wir gestern eine Rast auf einer Bank in Bordeaux Harbour machten, kam ein älterer Herr auf uns zu, eröffnete das Gespräch mit einer Bemerkung über das schöne Wetter, fragte dann gleich, woher wir kommen und was wir hier machen , und als er dann unsere Nationalität herausbekommen hatte, brachte er gleich seine Deutschkenntnisse in die Unterhaltung ein. Mit seinen 85 Jahren hatte er als Jugendlicher die deutsche Besatzung von 1940 bis 1945 erlebt, hegte aber überhaupt keinen Groll gegen die Deutschen. Besonders mit den Ärzten der deutschen Wehrmacht schien er gute Erfahrungen gemacht zu haben, was mit einer Bemerkung über den hohen Standard der deutschen Medizin in der heutigen Zeit endete. Schließlich bedauerte er sogar noch die deutsche Bevölkerung in Berlin, die so furchtbar unter den russischen Soldaten leiden musste. Da half auch unser Einwand, schließlich hätten ja die Deutschen den Krieg angefangen, wenig. Mit Handschlag und „Nett, euch getroffen zu haben!“ verabschiedete er sich schließlich, um seine an Alzheimer erkrankte Frau im Pflegeheim zu besuchen.
In Bordeaux Harbour trafen wir einen netten älteren Herrn.
Ein völlig gegensätzliches Erlebnis hatten wir heute. Wir besuchten das Haus des Schriftstellers Victor Hugo in St. Peter Port. Das sogenannte „Hautville House“ bewohnte der aus Frankreich geflüchtet Romancier („Der Glöckner von Notre Dame“, „Les Miserables“) während seines Exils auf Guernsey. Hugo war ein vielseitig begabter Mensch. Er beherrschte die Kunst des Wortes, konnte aber auch sehr gut malen und hatte handwerkliche Fähigkeiten. So machte er aus seinem Haus ein Gesamtkunstwerk, wozu er alten Hausrat sammelte und zur Ausgestaltung seiner Wohnräume verwendete. Das Haus gehört heute der Stadt Paris und kann nur während einer Führung besichtigt werden. An unserer Führung, von einer jungen Französin in englischer Sprache durchgeführt, nahm außer uns ein älteres englisches Paar teil. Im Gegensatz zu uns schienen sie mit Hugos Leben und Werk gut vertraut zu sein. Sie stellten während der Führung immer wieder zusätzliche Fragen, darunter auch, was denn mit dem Haus im Jahre 1940 geschehen sei. Das Wort „deutsch“ wurde wohl vermieden, da sie merkten, woher wir kamen. Uns fiel sofort das Wort „Hunnen“ ein, ein Schimpfwort der Briten für unkultivierte Deutsche. Die junge, gebildete Französin schien sichtlich verunsichert über die peinliche Frage. Dann erklärte sie, das Haus sei damals in Privatbesitz und dadurch „ geschützt“ gewesen . Es sei aber einmal ein hoher deutscher (offensichtlich gebildeter) Offizier zu Besuch gekommen, der sich aus Interesse an Hugo das Haus angesehen habe. Diese Erklärung nahmen die Hugo-begeisterten Engländer sichtlich erleichtert zur Kenntnis und wir waren aus der Schusslinie. Die Führung endete jedenfalls ohne weitere Zwischenfälle. Außer seinem Kindle hat Heinz jetzt auch eine deutsche Ausgabe von „Les Miserables“ („Die Elenden“) im Bücherbord. Die „Hunnen“ geloben Besserung!
Victor Hugos „Villa Kunterbunt“
Eine ganz andere Unterkunft besichtigten wir gestern bei einer Wanderung von der Marina entlang der Küste in Richtung St. Peter Port. Sozusagen für die Ewigkeit gebaut handelte es sich um ein zehn Meter langes Langgrab. Der Le Dehus Dolmen wurde in der Jungsteinzeit errichtet, wo offensichtlich schon Recycling angesagt war, denn einer der Decksteine stand vorher irgendwo als Standbild in der Landschaft herum und zeigt das Gesicht eines bärtigen Mannes mit Waffen.
Der Dolmen und die bärtigen Männer
Neben diesen sehr alten Zeugen von der Besiedelung der Kanalinseln gibt es die verschiedensten Bauwerke, die fast immer zeigen, dass diese „Stücke Frankreichs, die ins Meer gefallen sind und von England aufgelesen wurden…“ (Victor Hugo) stets heiß umkämpft waren. Castle-Ruinen, Forts und Wachtürme sowie Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg sind Spuren der Normannen, der Briten und zuletzt der Deutschen, die sich diese schönen Eilande unter den Nagel reißen wollten. Nun sind die Inseln zwei unabhängig verwaltete Bailwicks (Vogteien), nur außen- und verteidigungspolitisch vom United Kingdom vertreten. Als Fremder kann man die Inseln heutzutage nur noch dauerhaft besetzen, wenn man über ein Millionenvermögen verfügt. Da uns die entsprechenden Mittel fehlen, müssen wir uns so langsam Gedanken über die Weiterfahrt machen. Dazu haben wir morgen Gelegenheit, denn das schlechte Wetter ist nun da und wird erstmal bleiben. Außerdem muss ich unbedingt noch von unseren Besuchen auf den kleinen Kanalinseln Herm und Sark sowie von einer Küstenwanderung im Südosten Guernseys berichten. Ganz nach dem Motto:
„Willkommen im Paradies!“
Fort Doyle und ein deutscher Bunker
Castle Cornet in der Hauptstadt St. Peter Port